Visite bei Vollmond
dir
meine Vermutungen mitzuteilen?« Er schnippte mit den Fingern, als wollte er
einen Hund anlocken. »Hast du besorgt, was ich verlange?«
»Habe ich â und wurde dafür
fast umgebracht!« Ich drückte eine Hand auf die Stelle, die ich mir gezerrt
hatte. Der Finger mit dem abgerissenen Nagel pochte, genau wie ungefähr der
gesamte Rest meines Körpers.
Dren schüttelte den Kopf. »Wie
steht der Wind, Edith?« Mit den Zähnen zog er den Handschuh von seiner
verbliebenen Hand, steckte ihn in die Tasche und befeuchtete seinen
Zeigefinger, bevor er ihn in die Höhe streckte.
Ich lieà mich wieder in den
Sitz sinken. »Sag du es mir, Dren. Ich habe keine Ahnung.«
»Norden. Alles klar.« Dren
steckte die Hand in die Tasche, um den Handschuh wieder überzustreifen. »Diese
Dinger haben dich nicht erschnüffelt, sie wurden auf dich angesetzt.«
Genervt verzog ich den Mund.
Ich hatte keine Ahnung, warum irgendwelche Werwölfe mich hassen sollten. Okay,
Jorgen hatte heute Morgen etwas stinkig ausgesehen, aber so war er doch immer â¦
Viktor vielleicht? Aber wenn ja, warum? Und weshalb hatten die beiden nach
Drens Auftritt plötzlich vergessen, wer sie waren? Mir kam das eher vor wie ein
Befehlszwang.
»Aber deine eigenen Probleme
interessieren mich leider nicht.« Dren streckte die Hand aus. »Gib mir das
Blut, und zwar sofort.«
Ich holte den kleinen
Teststreifen aus der Handtasche. Er inspizierte ihn kurz und steckte ihn dann
wie einen Kaugummi in den Mund.
»Interessant. Sehr
interessant.« Er lieà ihn wie einen guten Schluck Wein über seine Zunge rollen.
Dann spuckte er ihn auf den Boden.
»Und, was sagt er?«, fragte
ich.
»Er sagt, dass dein Bruder am
Leben bleiben wird.« Dren schenkte mir ein schmales Lächeln, hinter dem er
seine eigentlichen berechnenden Pläne verbarg.
»Sonst noch etwas?«
»Nichts, was du zu diesem
Zeitpunkt wissen müsstest.«
»Auch nichts über diese ganze
Sache hier?«
»Geh nach Hause, Edith.«
»Tja, dann mal vielen Dank für
die Lebensrettung«, sagte ich so ironisch wie möglich.
Jetzt war Drens Lächeln grausam
und entblöÃte seine Fänge. »Gern geschehen.«
Ich drehte den
Zündschlüssel um. Um die Blechbeule würde ich mich später kümmern â was auch
immer mit der Tür los war, es würde die Servolenkung nicht beeinträchtigen, und
mehr brauchte ich nicht, um nach Hause zu kommen. Noch bevor der Motor
ansprang, war Dren verschwunden. Wohin, konnte ich nicht sehen, und solange er
nicht auf dem Dach mitfuhr, war es mir auch egal. Während ich vom Parkplatz
fuhr, rief ich Sike an, erreichte aber nur ihre Mailbox.
»Hi. Zwei Viecher, die
allergisch waren gegen Silber, haben gerade versucht, mich auf einem Parkplatz
umzubringen. Dachte mir, das interessiert dich vielleicht«, sagte ich knapp und
legte auf.
Der Parkplatz meines Wohnblocks
war leer und meine Wohnungstür verschlossen. Ich war verdammt froh, mein
Zuhause wiederzusehen, selbst mit dem augenlosen Mutantenwesen auf meinem Sofa.
»Wer will Zitronenhuhn?«,
fragte ich, als ich das Wohnzimmer betrat, woraufhin Gideon sich in meine
Richtung drehte. Ich lächelte tapfer, auch wenn er es nicht sehen konnte.
Ich verpflasterte meinen
Finger und legte die stützende Abdominalmappe an, die ich nach meiner
Stichverletzung hatte tragen müssen. Der Druck am Bauch, der mich damals so
genervt hatte, war jetzt irgendwie tröstend, wie ein guter Freund, der mich in
den Arm nahm. Ich glaubte zwar nicht, dass ich mich verletzt hatte, wollte aber
auf Nummer sicher gehen.
Nach der
Handtuchauslegezeremonie dauerte es wieder eine Weile, Gideon zu füttern, und
er war ein wirklich grauenhafter Gesprächspartner. Aber so war ich wenigstens
beschäftigt, auch wenn meine Gedanken nicht ganz zur Ruhe kamen.
Wer waren diese Frauen? Und
warum hatten sie mich verfolgt? Dren wusste nicht, aus welchem Rudel sie
stammten ⦠was hatte das zu bedeuten?
Gideon lieà mehr Essen fallen,
als er im Mund behielt und machte aus jedem Bissen eine Riesensauerei. Einen
Erwachsenen zu füttern dauerte furchtbar lange und erinnerte mich auÃerdem an
die Zeit auf der Schwesternschule. Damals war es mir so vorgekommen, als würde
ich die Hälfte meiner Zeit in den Zimmern der ältlichen Patienten verbringen
und ihnen ein Löffelchen Apfelkompott oder Pudding
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