Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
Vom Netzwerk:
nur nach ihm zu riechen.«
    Ich umklammerte meine
Handtasche und ging schnell an ihm vorbei. Dabei biss ich fest die Zähne
zusammen, damit ich mich bloß nicht verriet.

Kapitel 22
    Â 
    Die
unendlich lange Nachtschicht der Schwester Edie war Gott sei Dank fast vorbei.
Ich schob mich zwischen den Besuchern hindurch, die zum Teil sogar auf den
Sofas schliefen, die wie Kirchenbänke in der Eingangshalle aufgestellt waren.
Bei schlechtem Wetter schlugen manchmal auch Obdachlose hier ihr Lager auf,
indem sie behaupteten, sie würden auf Freunde warten. Es war nicht immer ganz
leicht, sie von den tatsächlich wartenden Familien zu unterscheiden. An diesem
Morgen war das nicht anders.
    Auf dem Weg nach draußen
entdeckte ich Luz. Sie saß tief schlafend und mit verschränkten Armen auf einem
der Sofas, mit dem Rücken an einen Pfeiler gelehnt. Am liebsten wäre ich
rübergegangen, hätte sie geweckt und gefragt, wie es Javier ging. Aber sie war
jetzt seit acht Stunden hier draußen, sie konnte es also gar nicht wissen.
Meine Schicht war zu Ende, und so sollte es auch bleiben. Ich musste nach
Hause.
    Ich fuhr durch die morgendliche
Dunkelheit. Dren lauerte weder in der Eingangshalle des Krankenhauses noch
unter dem Vordach, bei meinem Auto, unter meinem Auto oder in meinem Auto – ich
überprüfte sogar den Kofferraum. Ich hatte zu viele Horrorfilme gesehen, um den
zu vergessen.
    Als ich zu Hause ankam, hatte sich
das Tageslicht weit genug durchgesetzt, ich konnte also davon ausgehen, dass
ich in Sicherheit war. Zwölf Stunden Arbeit sind verdammt lang, selbst wenn man
nicht jede Minute davon auf den Beinen ist. Während ich die Wohnungstür
aufschloss, träumte ich bereits von einer langen Dusche.
    Als Großvater ohne Umschweife
zu schimpfen begann, blieb ich mitten im Flur stehen. »Was ist los?« Da ich den
Schlüsselbund noch in der Hand hielt, schob ich mir den längsten Schlüssel
zwischen die Finger, um notfalls damit zuschlagen zu können. Aus meiner Wohnung
drang ein Stöhnen.
    Ich ließ die Wohnungstür weit
offen und machte einen Schritt hinein. »Hallo?«
    Wieder ein Stöhnen. Ich
schaffte es bis ins Wohnzimmer und begutachtete als Erstes mein Sofa. Es war
besetzt. Gideon winkte mir mit seiner fingerlosen Hand zu. Mein Blick wanderte
zu seinem augen-, ohren- und lippenlosen Gesicht, und ich hätte mich wohl
übergeben, wenn ich nicht so verdammt müde gewesen wäre.
    Â»Das darf doch wohl nicht wahr
sein. Warte kurz.« Ohne ihn aus den Augen zu lassen, holte ich mein Handy aus
der Handtasche und rief Sike an. Sie nahm beim vierten Klingeln ab.
    Â»Hallo, Edie!« Offenbar freute
sie sich, von mir zu hören, was nur bedeuten konnte, dass sie hier die Finger
im Spiel hatte.
    Â»Warum sitzt ein Zenobit auf
meinem Sofa?«
    Â»Was ist ein Zenobit?«
    Â»Leih dir mal Hellraiser aus.« Damit ich Gideon im Auge behalten konnte, ging ich rückwärts zur
Wohnungstür und schloss sie. »Das war dein beschissener Plan?«
    Â»Dachtest du etwa, ich würde
sie mit zu mir nehmen?«
    Â»Sie?« Hektisch schaute ich mich in meiner kleinen Diele um.
    Â»Im Kleiderschrank.«
    Ich ging ins Schlafzimmer. Das
kleine Fenster war wieder mit lichtundurchlässiger Plane abgedeckt. Das letzte
Mal hatte ich die gebraucht, als ich einen Vampir hier verstecken musste, und
danach hatte ich sie vorsichtshalber aufbewahrt – immerhin sind
Verdunkelungsmöglichkeiten für eine Nachtschwester ein wundervoller Luxus. Mein
Bett war leer, aber meine Schuhe lagen überall herum. Kein gutes Zeichen. Ich
zog die Schranktür einen Spalt weit auf und spähte hinein. »Verdammt, Sike. Ich
hasse dich.« Auf dem Boden meines Kleiderschrankes lag eine fremde Frau. Sie
atmete nicht, aber ich wusste trotzdem, dass sie nicht wirklich tot war.
    Â»Gleichfalls«, erwiderte Sike.
    Ich klemmte das Telefon unters
Ohr und hockte mich hin. Als ich meine Finger an das Handgelenk der reglosen
Frau drückte, spürte ich keinen Puls, nur ihre weiche, kühle Haut. »Wer ist
sie?«
    Â»Veronica Lambridge. Gideons
Freundin, ehemals Labortechnikerin.«
    Sie sah nicht aus wie eine
Veronica – der Schnitt ihrer blassbraunen Haare hätte besser zu einem
zehnjährigen Jungen gepasst, und ihre Sommersprossen ließen sie noch jünger
erscheinen. Im Moment wirkte ihr Gesicht friedlich, aber wer konnte schon wissen,
wie sie

Weitere Kostenlose Bücher