Visite bei Vollmond
Wege.« Ich wollte
mir lieber nicht vorstellen, wie meine Kollegin Sex mit einem Bären hatte, also
verdrängte ich das Bild und hielt den Mund. »Es dauert einen Monat, bis die
Wirkung einsetzt â also, eigentlich keinen ganzen Monat, sondern eine
Mondphase. Der nächste Mond sollte mein Mond werden. Aber ich habe es
abgebrochen.«
»Wie denn?«
»Man kann sich etwas spritzen.
Und als Tierärztin kann ich mir das Mittel selbst verschreiben.« Sie schnappte
sich ihr Glas und klopfte damit auf die Bar. »Das warâs dann.«
Zu diesem Thema hätte ich noch
eine Menge Fragen gehabt, zum Beispiel, warum man das BeiÃen nicht abschaffte,
wenn es doch gar nicht sein musste? Aber vorerst unterdrückte ich meine
Neugier.
»Wie dem auch sei, ich kann
nicht mehr fahren.« Gina stieà sich von der Bar ab und schwankte prompt.
»Wie viel hast du getrunken?«
»Vier oder fünf.«
»Vier oder fünf was?«
»Wodka Tonic.«
»Heilige ScheiÃe.«
Gina schenkte mir ein schwaches
Lächeln. »Als mein medizinischer Berater des Abends solltest du vielleicht noch
wissen, dass ich normalerweise nie trinke und ich so nicht nach Hause gehen
kann. Meine Eltern denken, dass ich heute arbeite. Kann ich einfach mit zu dir
kommen?« Ihr Lächeln wirkte plötzlich verkrampft, und an ihrer Stimme hörte
ich, dass sie gegen die Tränen ankämpfte.
»Aber natürlich, Gina.« Meine
Wohnung war zurzeit völlig überfüllt. Ich ging meine Möglichkeiten durch.
Hotelzimmer auf Kreditkarte? In der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr war
höchstwahrscheinlich alles überteuert und/oder ausgebucht. Aber mir fiel jemand
ein, den ich anrufen konnte. »Warte kurz hier. Bin gleich wieder da.« Ich
hüpfte vom Barhocker und ging zu den Toiletten, wo es hoffentlich ruhig genug
sein würde, um zu telefonieren.
Im Gang zu den Toiletten
war es sogar noch lauter â vielleicht musste man hier ja wirklich vor die Bar
gehen, um ein wenig Ruhe zu finden. Rechts von mir befanden sich die beiden
Toiletten, links die Schwingtür zur Küche und am Ende des Ganges eine gröÃere,
dickere Tür â hinter der ein Geräuschpegel herrschte wie in einem Sportstadion.
In der Toilette war es nicht besser, der Lärm von drauÃen drang durch die Wände
und hallte von den Fliesen wider.
Ich wollte aber nicht an Gina
und allen anderen, die ich auf dem Weg in die Bar passiert hatte,
vorbeistiefeln und dann wieder reinkommen, um sie zu holen.
Abrupt hörte der Lärm auf,
brach aber wenige Sekunden später wieder los. Wie wenn man im Regen unter einer
Brücke durchfährt. Ich verlieà die Toilette und wandte mich drauÃen auf dem
Gang der groÃen Tür zu.
Dahinter wartete die nächste
Menschenmenge, und in der Luft lag ein stechender Geruch nach Moschus und
SchweiÃ. Die allgemeine Aufmerksamkeit richtete sich auf irgendetwas im Zentrum
des Raumes, und niemand würdigte mich auch nur eines Blickes. Ich war zwar
ziemlich groÃ, aber nicht groà genug, um über die Köpfe hinwegzusehen. Also
schob ich mich am Rand des Publikums entlang, bis ich eine Lücke fand, in die
ich mich mit ein wenig Ellbogeneinsatz zwängen konnte.
Die Leute hier sahen sich einen
Ringkampf an. Zwei Männer, die sich mit ausgestreckten Händen umkreisten. Beide
waren mit Blutergüssen übersät, und einer hatte ein Blumenkohlohr. Dieser
Kämpfer war ein echter Hüne, seine langen, roten Haare fielen bis auf die
Schultern, und auf Rücken, Armen und Brust wuchsen ebenfalls rötliche Haare,
die stark an Bärenfell erinnerten. Der andere war kleiner, schmaler und
mehrfach tätowiert.
Zuerst erkannte ich ihn nicht,
wurde aber das Gefühl nicht los, ihn schon einmal irgendwo gesehen zu haben.
Ich brauchte einen Moment, um sein Gesicht einzuordnen, doch dann sagte ich
unwillkürlich seinen Namen: »Lucas?« Die anderen Zuschauer ignorierten mich, da
sie durch den Kampf völlig gefesselt waren. Und auch einen von ihnen erkannte
ich: den Mann mit der weiÃen Strähne von heute Morgen. Er trug immer noch
seinen Filzhut, während er die Kämpfer beobachtete.
Lucasâ Tätowierungen bedeckten
beide Arme, von den Handgelenken bis auf den Rücken, wo sie auf den
Schulterblättern zusammenliefen. Da er ständig in Bewegung war â vorpreschen,
zurückweichen â, konnte ich
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