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Vita Nuova

Vita Nuova

Titel: Vita Nuova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brrazo
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bevor Sie mit ihm reden und ihm erklären können, dass sie nie wieder zurückkommt. Wenn Sie so durcheinander sind, können Sie das nicht. Hilft Ihnen eigentlich irgendjemand? Passt jemand auf das Kind auf, wenn Sie anderweitig zu tun haben? Ein Hausmeister oder ein Dienstmädchen vielleicht?« Die Mutter brauchte er erst gar nicht zu erwähnen.
    »Zwei Mädchen arbeiten hier; sie wohnen zwar nicht im Haus, aber Papà hat gestern Abend noch spät angerufen und gesagt, dass eine der beiden ab sofort auch hierbleiben soll. Sie hat gestern drüben im Haupthaus geschlafen, aber jetzt … jetzt muss sie hier in Danielas Zimmer schlafen, damit Piero sein Zimmer nebenan behalten kann. Ich muss bei Mamma bleiben.«
    »Das hört sich doch nach einem vernünftigen Plan an. Aber Sie müssen warten, bis der Staatsanwalt den Turm wieder freigibt. Das kann noch ein Weilchen dauern.«
    »Aber warum? Ich bin doch jetzt auch hier!«
    »Ja, aber Sie sind nicht allein hier. Wir brauchen Sie, um zu überprüfen, ob irgendetwas fehlt. Später werden die Türen wieder versiegelt, und Sie alle müssen im Haupthaus bleiben. Machen Sie sich keine Gedanken, das dauert nur so lange, bis die Ermittlungen beendet sind.«
    Er war sich sehr wohl bewusst, dass er sie wie ein kleines Kind behandelte oder wie eine Kranke, die der Schonung bedurfte und in einen hysterischen Weinkrampf ausbrechen konnte. Oder vielleicht am ehesten noch wie eine Bombe, die jeden Augenblick explodieren konnte. Doch das Mädchen hatte inzwischen die Tränen getrocknet und wartete ruhig auf die nächste Frage. Eine Taube versuchte auf dem Fenstersims zu landen, hatte aber bei geschlossenen Läden keine Chance. Was hatte die Spurensicherung gestern dort eigentlich gesucht? Hatten die etwa geglaubt, der Mann sei die Turmmauer hochgeklettert, um zu seiner Prinzessin zu gelangen?
    »Hat ihre Schwester die Vögel gefüttert?«
    »Nein. Keine Ahnung. Vielleicht doch. Ich bin nie nach hier oben gekommen. Sie hat Piero immer nach unten ans Auto gebracht, und wenn sie nicht gelernt hat, haben wir den Nachmittag am Pool verbracht. Papà wollte Piero das Schwimmen beibringen und jetzt … jetzt …«
    »Er wird ihm das Schwimmen beibringen. Das wird er ganz bestimmt. Sie können es jetzt vielleicht nicht so recht glauben, aber das Leben geht weiter. Das tut es immer. Alles wird wieder gut.«
    »Nein, das wird es nicht«, widersprach sie mit leiser, hoffnungsloser Stimme, die keinen Zweifel zuließ. Ihr Körper krümmte sich, als litte sie schreckliche Schmerzen. »Nein, nichts wird wieder gut werden, und er wird mir die Schuld geben.«
    In dem Zimmer war es zu dunkel geworden. Das schummrige Licht tat zwar seinen Augen gut, aber Silvana brauchte Sonne, Sonne und Licht. Wenn sie ihm hier zusammenbrach, hatte er keine Zeugin mehr. Das musste er unbedingt vermeiden. Er hätte den Carabiniere nicht fortschicken dürfen. Wenn der Staatsanwalt herkam, um mit der Mutter zu sprechen, und feststellte, dass die Tochter bei einem Gespräch mit ihm einen hysterischen Anfall erlitten hatte, wäre es schlagartig vorbei mit seiner Freundlichkeit.
    »Kommen Sie, wir stellen die Läden wieder ein wenig auf. Ich setze mich so, dass mir das Licht nicht in die Augen fällt. Keine Sorge, ich setze die Brille schon nicht wieder auf.«
    Sie rührte sich nicht vom Fleck, blieb zusammengekauert sitzen, die Augen starr auf die Kette gerichtet, die sich so eng um die Finger geschlungen hatte, dass sie blau anliefen. Er stand auf und trat hinter das Sofa, um das Fenster zu schließen. Jetzt drang nur noch das spärliche Licht von den kleinen Fenstern draußen im Flur in den Raum. Er musste sie hier rausschaffen.
    »Wir gehen jetzt besser nach unten. Sie regen sich zu sehr auf.«
    »Ich will, dass Papà heimkommt. Ich kann das nicht allein.«
    »Ihr Vater ist in ein paar Tagen bestimmt wieder da. Aber dann sollte er Sie nicht in einem solchen Zustand vorfinden. Er wird wieder ganz gesund werden, aber er war krank und wird Sie brauchen, Sie müssen ihm helfen, ihn trösten.«
    »Er braucht mich nicht. Er wird mir die Schuld geben. Ich will nicht, dass er heimkommt.«
    »Warum sollte er Ihnen die Schuld geben? Sie waren ja nicht einmal hier – und selbst wenn, was hätten Sie gegen einen bewaffneten Mann unternehmen sollen?«
    »Ich war nicht hier. Ich war nicht hier … Ich war … Wollen Sie wissen, wo ich war? Ich war Schuhe kaufen! Das hab ich Ihnen gestern nicht gesagt, nicht wahr? Hab’s vergessen –

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