Vita Nuova
Mann hatte ihm schon oft nützliche Tipps gegeben, aber er hatte diese laxe Art, ihm so ganz nebenbei ein paar Informationsbröckchen hinzuwerfen, dass Guarnaccia nie genau sagen konnte, ob der Journalist ihn nicht vielleicht bloß auf den Arm nahm. Nesti vermittelte ihm ständig das Gefühl, er meine es nicht ernst, dabei scherzte er eigentlich nie. Es lag an diesem lässigen Auftreten und den Augen, die fast immerzu fest zusammengekniffen waren – wahrscheinlich nur zum Schutz gegen den aufsteigenden Zigarettenqualm –, dass alles, was er sagte, irgendwie komisch wirkte.
»Also, ich verschwinde zusammen mit Ihnen im Auto von hier. Sie haben mich hergebeten, weil Sie von mir ein paar Hintergrundinformationen über Paoletti haben wollten. Und um die Geschichte auch wirklich schön glaubwürdig aussehen zu lassen, verpassen Sie den beiden Wachen am Tor einen ordentlichen Anschiss, weil sie mich einfach hier haben hereinspazieren lassen. Damit wäre Problem Nummer eins gelöst.«
»Und was ist Problem Nummer zwei?«
»Hab ich doch schon gesagt: Ich brauch Futter für die Lokalseite morgen. Sie bekommen von mir ein paar Zuckerstückchen über Paoletti, und dafür verraten Sie mir ein bisschen was von der Geschichte hier, und alle sind glücklich und zufrieden. Wenn irgend möglich, lassen Sie uns das bei einem ordentlichen Mittagessen besprechen. Ich sterbe vor Hunger, hab aber keinen Cent mehr in der Tasche.«
»Sie sollten nicht alles für Klamotten verpulvern.«
»Wie recht Sie haben. Jetzt muss ich mir auch noch ein Paar neue Schuhe kaufen. Wir gehen zu Paszkowski. Ich brauche Zigaretten, und alle anderen vernünftigen Lokale haben im Moment geschlossen.«
»Haben Sie es aufgegeben, das Rauchen aufzugeben?«
»Ganz im Gegenteil. Ich gebe nie auf, lege nur mal eine kleine Pause ein.«
»Tut mir leid, das Mittagessen ist gestrichen, keine Zeit für eine Pause.«
Höchstens für ein paar Sandwiches, das würde reichen müssen. Schließlich einigten sie sich darauf, gemeinsam zu Abend zu essen. Vielleicht hatte Nesti ja tatsächlich ein paar interessante Informationen, aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Guarnaccia hätte den Abend auch mit dem Teufel verbracht, nur um der Einsamkeit daheim zu entfliehen.
Diese Art Manöver war ihm bereits seit seiner Kindheit vertraut. Alle seine Schulfreunde fuhren in den Urlaub, nur sie blieben immer zu Hause. Er hing daheim herum, wusste nichts mit sich anzufangen, fühlte sich einsam und verlassen. Seine Mutter hatte einfach zu viel zu tun, um Mitleid für ihn aufzubringen.
»Steh nicht hier in der Küche herum. Ich muss den Boden wischen. Geh und spiel mit Nunziata, oder hilf deinem Vater im Hühnerstall.«
Aber seine Schwester war zwei Jahre älter und wollte ihn nicht ständig auf der Pelle haben. Sein Vater war zwar ein ausgesprochen ruhiger und sehr geduldiger Mensch, aber es war nicht zu übersehen, dass er besser ohne ihn zurechtkam.
Darum dauerte es meist nicht lange, bis er wieder in der Küche auftauchte.
»Ich habe Hunger.«
»Da, iss ein Brot.«
Dann schnitt ihm die Mutter eine dicke Scheibe Brot ab, belegte sie mit Tomate und gab ein wenig Salz und einen Tropfen Öl darauf.
»Hier, bitte. Jetzt sei aber so gut und geh mir endlich aus den Füßen. Warum läufst du nicht mal rüber zu dem kleinen Beppe? Der mag bestimmt mit dir spielen.«
»Der ist erst acht!«
Schließlich ging er doch rüber, und sie gründeten eine Art Notgemeinschaft, die sie den langen, einsamen August über am Leben erhielten, bis die anderen endlich wieder aus dem Urlaub zurückkehrten.
Er ließ Nesti am Ende der Straße raus, wo der Journalist seinen Wagen geparkt hatte.
»Acht Uhr, bei Paszkowski. Inzwischen geh ich ein bisschen kuren, ist gut für meine Leber.«
»Wie bitte?«
Um fünf Uhr saß der Maresciallo hinter seinem Schreibtisch. Zuvor hatte er bei den beiden Carabinieri reingeschaut, die im Mannschaftsraum Dienst taten, einer saß vor dem Funkgerät und sprach mit den Kollegen von der Motorradstreife.
»Alles in Ordnung?«
»Alles ruhig, Maresciallo.«
»Sehr schön. Dann lassen Sie bitte diesen Namen durch den Computer laufen. Kontrollieren Sie, ob es eine Akte gibt, irgendwelche Einträge, was auch immer.«
»In Ordnung … aber … das ist doch …?«
»Ja, das ist er. Bringen Sie mir alles, was Sie finden können, sofort … und wenn es irgendwelche Zwischenfälle mit Zigeunern gibt, geben Sie mir bitte auch sofort Bescheid. Der Capitano will
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