Vita Nuova
hockte auf dem Kopfkissen, ein Regal mit Bilderbüchern. Das fast ganz in Weiß gehaltene Bad wirkte sehr aufgeräumt. Die Handtücher, weiße und dunkelblaue, lagen ordentlich zusammengefaltet auf einem Messingregal, nur eines, das benutzt war, lag auf einem Wäschekorb.
Eine ruhige, fleißige Frau war aufgestanden, hatte ihren kleinen Sohn gewaschen und angezogen, ihm einen Stock tiefer Frühstück gemacht und ihn dann nach unten zu ihrer Schwester gebracht. War sie anschließend zum Duschen nach hier oben gekommen? Vielleicht. Sie hatte noch diesen weißen Morgenmantel getragen, als sie starb, und sie hatte noch keine Zeit gehabt, das Bett zu machen. Es sah hier so gar nicht nach einem Schauplatz für einen Mord aus. Alles war so ruhig, so sauber, so einfach, so … unschuldig.
Nichts ist, wie es scheint. Das Telefon …
Er betrachte wieder die Kreidezeichnung, die die Lage ihres Körpers markierte.
Vielleicht hatte sie gerade versucht, sich aufzurichten, und nach dem Telefon gegriffen, war aber zusammengebrochen, als er die erste Kugel auf ihren Kopf abfeuerte.
Doch all diese Spekulationen brachten die Ermittlungen nicht weiter. Jemand war nach hier oben gekommen, sie hatte ihrem Mörder die Tür geöffnet. Hatte sie ihn gekannt? Bestimmt. Sie hatte ihm im Morgenmantel die Tür geöffnet, einem dünnen, weißen Morgenmantel, wahrscheinlich Seide. Hier oben gab es kein zweites Telefon, und gestern hatte er in keinem der anderen Stockwerke eine Nebenstelle gesehen. Er trat ans Fenster zur Frontseite und öffnete es. Schwierig, jemanden, der dort unten direkt vor der Tür stand, aus diesem Blickwinkel zu erkennen, aber jemand Vertrautes, eine Stimme, die grüßte … Er lehnte sich nach draußen.
Da unten stand ein Mann, dunkles Haar, keine Uniform, rauchend. Plötzlich schaute er rasch nach links und rechts, warf die Zigarette fort, bückte sich, huschte unter dem Absperrband der Polizei durch und verschwand im Turm.
Der Maresciallo schloss das Fenster und eilte nach unten. Zwecklos, auf den Steinstufen geräuschlos nach unten kommen zu wollen. Wie zum Teufel hatte es dieser Mann überhaupt auf das Grundstück geschafft? Überall wimmelte es von Carabinieri. Im Grunde interessierte den Maresciallo das ›Wer‹ viel mehr als das ›Wie‹. Als er endlich unten ankam, sah er den Mann, der sich in aller Ruhe umschaute.
»Verdammt noch mal!«
»Morgen, Guarnaccia.«
»Was zum Teufel haben Sie hier verloren … und wie sind Sie überhaupt hier hereingekommen?«
»Ach, Sie kennen mich doch.« Nesti grinste.
»Nur zu gut, nur zu gut. Sie haben Glück, dass der Staatsanwalt nicht hier ist und Sie für diese Eskapade hinter Gitter bringt. Verschwinden Sie, aber ein bisschen plötzlich.«
»Kommen Sie schon, Maresciallo, geben Sie mir was, irgendwas, was ich morgen bringen kann, und schon bin ich weg. Ich hab natürlich gewusst, dass die Staatsgewalt nicht vor Ort ist, bin dort unten bei dem kleinen Nebenhaus reingekommen, wo sie bis vor etwa zehn Minuten noch eine Durchsuchung laufen hatten. Die Mauer dort ist eingebrochen … hab mir die Schuhe ruiniert.«
Nestis Ehrgeiz, stets als Erster am Tatort zu erscheinen, grenzte an Besessenheit und wurde höchstens noch von seiner Leidenschaft für exquisite Kleidung und Schuhe übertroffen.
»Raus hier, Nesti.«
»Ich habe Ihnen auch schon geholfen.«
Das stimmte. Noch bevor Guarnaccia nach Florenz gekommen war, hatte Nesti schon als Journalist bei La Nazione gearbeitet, und er wusste einfach alles, was es in dieser Stadt zu wissen gab.
»Außerdem kann ich nicht auf dem gleichen Weg wieder hier raus, auf dem ich reingekommen bin, weil die Mauer auf der Innenseite zwei Meter höher ist – und ich kann ja wohl nicht so mir nichts, dir nichts an dem Wagen vorbeimarschieren, den Sie am Haupteingang postiert haben.«
»Nesti!«
»Es wird Ihnen leid tun, wenn Sie mir nicht helfen, denn ich hab ein paar Informationen über den Kerl.«
»Über den Mörder?«
»Wer weiß das schon – wenn ich die Sache richtig sehe, haben Sie noch immer nicht den geringsten Hinweis. Nein. Im Moment allerdings spreche ich vom Besitzer dieses Anwesens hier, Paoletti. Sie haben ihn bestimmt noch nicht kennengelernt. Er liegt im Krankenhaus.«
»Ach, und Sie kennen ihn? Erzählen Sie mir jetzt bloß nicht, Sie waren im Krankenhaus …«
»Nein, nein. Eine Geschichte aus der Vergangenheit. Er hat’s ganz schön weit gebracht. Wenn ich mich hier so umsehe …«
»Nesti …!« Der
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