Vita Nuova
können?«
»Nichts, nur dass sie eine außergewöhnlich gute Studentin war. Sie hatte darauf gehofft, in der Forschungsabteilung anfangen zu können, was uns nicht weiter interessieren muss, es sei denn …«
»Es sei denn, was?«
»Ihr Doktorvater – ich habe kurz mit ihm sprechen können, ein glücklicher Zufall, denn er verbringt normalerweise den ganzen August in seinem Haus am Meer; kam nur zurück, um ein paar Unterlagen zum Arbeiten zu holen …«
»Und? Was ist mit ihm?«
»Nichts. Die beiden scheinen sich nur ziemlich nahegestanden zu haben. Ich glaube, dass sie ganz schön ehrgeizig war. Nun ja, abgesehen von dem Kind kreiste ihr ganzes Leben ausschließlich um das Studium. Ich dachte nur … ehrgeizige junge Damen neigen manchmal zu … ähm … Kurzschlusshandlungen … Sie wissen schon, was ich meine.«
»Ich dachte, so was kommt nur im Showbusiness vor.«
»Nein …« Der Capitano ging nicht mehr viel unter die Leute, das hatte er mit Daniela Paoletti gemeinsam. »So was passiert heutzutage in allen Kreisen und Schichten. Der Professor hat gemeint, dass der Konkurrenzkampf in der Welt der Akademiker knallhart geworden ist und dass er oft genug mit ansehen muss, wie Leute mit den richtigen Verbindungen die wirklich brillanten Köpfe ausstechen und beiseite drängen.«
»Und wäre er für unser Opfer die ›richtige Verbindung‹ gewesen?«
Der Maresciallo schüttelte den Kopf. »Sie haben für das kommende Jahr nur eine Forschungsstelle bewilligt bekommen, und auf die wartet bereits dieser Politikersohn; außerdem sah der Professor wirklich nicht so aus, als würde er …«
»Nicht? Wieso? Zu alt?«
»Das auch. Hat nicht ein Mal von seinen Büchern aufgeblickt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er wegen einer jungen Studentin Ärger riskiert. Und ebenso wenig kann ich mir vorstellen, dass er wegen so was Ärger mit seiner Frau riskiert. Aber man kann sich täuschen. Unser Opfer scheint ja auch nicht gerade ein flatterhaftes Mädchen gewesen zu sein und hatte dennoch ein uneheliches Kind. Der Professor ist auf jeden Fall außen vor, er hat ein Alibi. Er war bereits seit zwei Tagen in Neapel, als der Mord geschah. Hat an irgendwas gearbeitet, hab’s nicht ganz verstanden, mit zwei anderen Forschern. Er hat überhaupt nicht begriffen, dass ich nur sein Alibi überprüfen wollte, und hat mir einen ellenlangen Vortrag über diese Forschungsarbeit gehalten. Ich würde noch immer dort sitzen, wenn nicht jemand hereingekommen wäre und mich erlöst hätte. Erinnert mich ein bisschen an Professor Forli. Nein, nein, der Mann ist sauber …
Ich hab dann noch mit zwei Frauen und einem Mann im Studentensekretariat gesprochen, aber die hatten nicht allzu viel Kontakt mit ihr. Sie waren ziemlich geschockt, als ich ihnen gesagt habe, wie sie starb, aber sie wussten nichts von einem Freund, kein Klatsch, kein Tratsch, gar nichts. Und was den Vater des Kindes angeht – sie hatten nicht einmal gewusst, dass sie ein Kind hatte. Ich habe meine Karte dort gelassen, weil sie mich loswerden wollten; da stand eine endlose Schlange ausländischer Studenten, die alle zum Einschreiben gekommen waren.«
»Aber jemand muss doch etwas wissen, verflucht noch mal, die Florentiner sind schließlich berühmt für ihren Hang zu Klatsch und Tratsch. Was sagt denn der Staatsanwalt?«
»Er sagt: ›Finden Sie den Mann in ihrem Leben.‹ Was soll er auch sonst sagen? Vielleicht ist es keine schlechte Idee, die Presse einzuschalten und das Fernsehen.«
Sie fuhren über die Piazza della Signoria zum Palazzo Vecchio, dem Rathaus von Florenz. Große Gruppen schwitzender Touristen folgten den Fahnen oder Schirmen, die ihre Führer in die Höhe hielten.
»Was ist denn eigentlich im Zigeunerlager passiert? Hab den größten Teil der Nachrichten gestern Abend verpasst.«
»Ein paar Zigeunerkinder haben einem Mann ein Messer ins Bein gerammt, als sie ihm irgendwo am Bahnhof die Brieftasche klauen wollten. In der Nacht darauf ist jemand in das Zigeunerlager eingedrungen und hat mit einem Benzinkanister zwei Wagen angezündet. Ein kleines Mädchen ist gestorben.« Sie stiegen aus dem Auto aus und sahen sich sofort von einem aufdringlichen Fernsehteam umringt.
»Kanal-Drei-Nachrichten. Können Sie uns sagen, was …?«
Der Capitano ignorierte die Reporter. »Ich werde in nächster Zeit wohl viel unterwegs sein, Guarnaccia, aber Sie können mich jederzeit übers Handy erreichen … Vielleicht wird Ihre Pressekonferenz auf morgen
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