Vita Nuova
gestürzt.«
Signora Donati war ins Haus gegangen und kehrte nun mit einem Tablett zurück. Eine kleine Erfrischung, sanftes Plätschern beim Einschenken, leises Klirren der Eiswürfel, Vogelgezwitscher, es duftete nach Gras. So ein Garten war schon etwas Schönes, machte aber auch viel Arbeit.
»Wie wird die Familie mit diesem Schlag fertig, Maresciallo? Es muss ein schrecklicher Schock für sie gewesen sein. Ich sehe sie zwar nur selten, aber sonntags morgens gehen sie alle zusammen in die Kirche. Ich selbst gehe nur selten, und mein Mann hasst den Florentiner Klerus geradezu. Sie war ja noch so jung … der kleine Junge hat im Auto immer auf ihrem Schoß gesessen. Sonst sehe ich sie so gut wie nie. Elio und ich frühstücken bei gutem Wetter gerne hier draußen. Wie kommt die Schwester zurecht? Meine Güte, das Mädchen war ja völlig außer sich.«
»Es geht ihr schon besser, sie hat sich ein wenig beruhigt.«
»Dennoch macht sie sich bestimmt Sorgen. Der kleine Junge wird sie brauchen …«
»Ja. Ich wüsste nur zu gern, wer der Vater ist.«
»Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Ich habe sie nie in Begleitung eines Mannes gesehen, tut mir leid.«
Dem Maresciallo tat es auch leid. Er schloss das Notizbuch und starrte auf die Straßenkarte seines Reviers an der Wand gegenüber. Dieses Gespräch gab nur wenig her für seine Fallnotizen, eigentlich nur, dass die Familie sonntags zusammen in die Kirche ging. Dennoch hatte er seine Zeit bei Signora Donati nicht verschwendet, denn schließlich hatte sie ihm versprochen, dass ihr Mann ihnen helfen würde, wenn Nunziata herkam. Eine Familie sollte zusammenstehen, insbesondere wenn Probleme auftauchen. Er hatte sofort Teresa angerufen, um ihr die guten Neuigkeiten mitzuteilen.
»Aber was ist, wenn sie gar nicht kommen will? Wir alle wollen doch viel lieber in unseren eigenen vier Wänden sein. Gerade du müsstest das verstehen.«
»Aber doch nicht allein! Und schon gar nicht, wenn man krank ist. Sie wird sich Sorgen machen, Angst haben, Hilfe, Trost und Unterstützung brauchen.«
»Deine Schwester ist ganz und gar ruhig und gefasst, sie hat schon alles bis ins Kleinste durchorganisiert. Im Moment sitzt sie mir genau gegenüber und schüttelt den Kopf.«
»Gib sie mir.«
Nunziata kam ans Telefon und lachte ihn einfach aus.
»Das ist mal wieder typisch für dich, den großen Tyrannen von Syrakus!«
»Was?«
»Ja, erinnerst du dich etwa nicht?«
»Woran soll ich mich erinnern?«
»Dionigi! Der Tyrann von Syrakus. Die Geschichte aus der Schule … Wie hieß der Lehrer noch? Hab’s vergessen, egal, es war der, der immer mit Kreide nach dir geworfen hat, weil du dir die Formen des Konjunktivs nicht merken konntest. Du musst dich doch noch daran erinnern … die alte Frau, die für Dionigi gebetet hat, als er im Sterben lag, während alle anderen schon freudig sein Grab schaufelten.«
»Ich weiß nicht … aber du stirbst doch nicht …«
»Und als sie wissen wollten, warum die Alte für ihn betete, hat sie gesagt, sie wolle, dass er am Leben bleibt, denn alles, was nach ihm käme, wäre wahrscheinlich noch schlimmer – und recht hat sie gehabt!« Nunziata lachte schallend. »Monatelang habe ich dich damals Tyrann von Syrakus gerufen. Tu nicht so, als ob du das vergessen hättest. Kaum dass du mir über den Kopf gewachsen bist, hast du geglaubt, du müsstest mich herumkommandieren.«
»Hmm.«
»Nun, du bist noch immer größer als ich, aber du kannst dich aufspielen, wie du willst, ich gehe nirgends hin. Ich habe hier alles organisiert und werde mich hüten, meine alten Knochen woandershin zu verfrachten. Teresa hat mit dir und den Kindern genug am Hals. Ich mach jetzt Schluss. Wir müssen los. Tschühüss, Tyrann von Syrakus.«
»Trotzdem ist es nicht richtig«, erklärte der Maresciallo der Karte an der Wand. Er musste daran denken, wie ihn vor Jahren einmal eine wirklich schreckliche Grippe erwischt hatte und er ganz allein in Florenz, von Fieber und schrecklichen Alpträumen geplagt, nichts bei sich behalten konnte als ein wenig Wasser, und oft genug auch das nicht. Alles in seinem Kopf hatte sich gedreht, wenn er aufstehen musste, um die schweißnassen Laken vom Bett zu ziehen.
»Nein, nein …«
Ein Carabiniere klopfte und streckte den Kopf durch die Tür.
»Haben Sie gerufen?«
»Was? Nein.«
»Oh. Ich dachte … Ich wollte Sie nur kurz informieren: Über Paoletti gibt es nichts, keine Akte, keinen Eintrag.«
»Danke.«
Als der Carabiniere
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