Vita Nuova
aufs andere und blickte höchst gelangweilt drein. Bei dem Anblick wurde dem Maresciallo ganz anders ums Herz. Er ging über die Straße, in die Café-Bar und bestellte ein Sandwich und einen Kaffee. Er hatte keine Ahnung, ob das nun sein zweites Frühstück oder bereits sein Mittagessen war, denn er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Das war nicht weiter wichtig. Er konnte ja nicht einmal sagen, ob der Grund für diesen nagenden Schmerz in seinem Bauch Hunger oder Angst war. Die Bar war total überfüllt, fast nur Ausländer, die sich lautstark unterhielten, als wären sie das Wichtigste auf dieser Welt. Trotz des Lärms hörte Guarnaccia noch immer sein Herz laut klopfen. Es war viel zu heiß hier drinnen, die vielen Menschen, die zischende Espressomaschine … er wollte nur noch raus, ließ das halbe Sandwich liegen, zog den Geldbeutel aus der Tasche, um dann entgeistert festzustellen, dass da überhaupt kein Geld mehr drin war. Nesti und Lorenzini hatten ihn ganz offensichtlich ausgezogen bis aufs letzte Hemd. Hilflos starrte er in das leere Portemonnaie. Der Mann hinter der Bar hatte begriffen und winkte ihm lässig zu, dass er ein anderes Mal zahlen könne. Trotzdem würde er jetzt nicht in die Bank gehen. Er fischte die Kreditkarte aus der Tasche und marschierte über die Straße zum Automaten. Als er die Nummer eintippte, fiel ihm wieder ein, dass er Nesti eine geradezu unglaubliche Summe schuldete. Nun, der würde sich mit einem Scheck zufriedengeben müssen. Er konnte jetzt nicht in die Bank hinein.
»Das Gewitter wird bald hier sein«, stellte der Wachmann fest, der sich bereits im Vorraum der Bank in Sicherheit gebracht hatte. Ganz offensichtlich hätte er sich gerne ein wenig unterhalten, und obwohl sich ihre Beziehung bislang auf ein grüßendes Nicken beschränkt hatte, fühlte sich Guarnaccia schlecht, als er mit kaum mehr als einem Grunzen das Geld in die Brieftasche stopfte und sich abwandte. Sollte der Wachmann ruhig glauben, dass er wegen des Gewitters so gereizt war. Große Tropfen spritzten auf seine Sonnenbrille, als er den Vorplatz zur Wache hochmarschierte.
Das Gewitter ging genau in dem Moment los, als er die Stufen erreicht hatte. Der Kopf drohte ihm zu platzen vor Schmerz.
Guarnaccia schloss sich in sein Büro ein, hängte die Kappe auf, nahm die Sonnenbrille ab und trocknete sie mit einem seiner großen, weißen Taschentücher sorgfältig, bevor er sie zurück in die Hemdtasche steckte. Er setzte sich mit den Zeitungen hinter den Schreibtisch und schlug als Erstes La Pulce auf. Verkäufer, Putzfrauen, Nachhilfeunterricht, Kindermädchen, Altenpfleger, Vertreter mit angenehmem Äußeren.
Das Telefon klingelte. Teresa? Bitte, lass es Teresa sein.
Es war der Staatsanwalt.
Er hielt sich erst gar nicht mit irgendwelchen Höflichkeiten auf. Die Maske war gefallen. Das war der Mann, den der Maresciallo kannte.
»Das waren doch Sie, oder?«
»Ich –«
»Das ist doch der Reporter, dessen Artikel Sie mir haben schicken lassen. Sie sind seine Quelle!«
»Nur –«
»Soweit ich weiß, untersteht dieser Fall mir! Sie maßen sich da etwas an, Guarnaccia, was Ihnen ganz und gar nicht zusteht, aber das bin ich ja gewohnt von Ihnen, Sie und Ihr Dickkopf! Wir untersuchen hier einen Mordfall und haben nicht die Aufgabe, einem armseligen Schreiberling in den Sattel zu helfen.«
Was sollte er darauf antworten? Er hatte schließlich ähnliche Gedanken gehabt!
Es ging noch eine ganze Weile so weiter. Gott sei Dank gab De Vita dem Maresciallo keine Möglichkeit, sich zu verteidigen, denn der hatte auch nichts zu seiner Verteidigung vorzubringen. Und außerdem hörte er viel lieber den Staatsanwalt reden als sich selbst. Da Guarnaccia die ganze Zeit schwieg und De Vita keine weitere Munition lieferte, begann der Staatsanwalt recht bald, sich zu wiederholen. Als er schließlich halbwegs beruhigt und gefasst war, suchte er nur noch nach einem passenden Abgang. Er fand einen. Und was für einen!
»Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich schon vor Jahren solchen Ärger mit Ihnen. Nur weil Sie pünktlich den Urlaub antreten wollten, haben Sie mich doch tatsächlich davon zu überzeugen versucht, dass es sich bei dem Fall damals um Selbstmord handelte, obwohl es keinen Zweifel daran gab, dass die Frau ermordet worden war. Schon damals hatte ich recht und Sie unrecht. Vergessen Sie das bitte nicht!«
Ein ohrenbetäubender Donnerschlag begleitete das Krachen des auf die Gabel gepfefferten Hörers, und
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