Vita Nuova
sämtliche Straßen verstopften, über diesen seltsamen Menschenschlag hier … Und jetzt … Nun ja, er hatte sich wohl irgendwie daran gewöhnt, daran musste es wohl liegen. Wie auch immer, er musste hier eine Arbeit finden … der Capitano würde ihm behilflich sein. Er kannte die richtigen Leute, hatte Beziehungen.
Gut eingeführte Detektei … ausgezeichnete Computerkenntnisse, dynamische Persönlichkeit … Wohinein hatte er sich da verstiegen?
Er wandte sich um, wollte weitergehen, da sah er den ersten Japaner an diesem Morgen, der ihn mit der weltbekannten Brücke im Hintergrund fotografierte. Jeder nach seinem Geschmack.
Er erreichte den Palazzo Pitti und schwenkte nach links zur Arkade mit der großen eisernen Laterne, hinter der der Aufgang zur Wache lag. Wie oft war er schon … O mein Gott! Was sollte das? Das hier war gleichzeitig der Eingang zum Boboli-Park, und er konnte jederzeit herkommen, sooft er wollte.
Um diese Uhrzeit allerdings musste er mit dem elektronischen Schlüssel das Tor öffnen, das den Bogengang und damit den Zutritt zum Park bis zur regulären Öffnungszeit verschloss. Als er den Fuß der Treppe erreichte, sah er einen der Parkwächter in seinem Glashäuschen aufgeregt winken.
»Das hier muss wohl für Sie sein.«
»Für mich? Aber da steht doch gar kein Name drauf …«
»Nein, aber ›Eilsache‹. Wir haben den Umschlag gefunden, als wir gekommen sind, vor zehn Minuten ungefähr. Er stand ans Tor gelehnt, der ist bestimmt nicht für uns …« Er blickte zu seiner Kollegin, einer jungen Frau, die errötete und wegschaute.
Der Maresciallo spürte plötzlich das Herz im Halse schlagen. Ihm war ganz heiß, als er den Umschlag entgegennahm.
»Danke …«
Als er die Treppe hochging, geriet er völlig außer Atem, aber nicht wegen des Aufstiegs. Auf dem großen Umschlag stand nichts weiter als ›Eilsache‹, in großen, mit schwarzem Filzstift geschriebenen Druckbuchstaben, es war ein großer Umschlag, ein großer, gelber Umschlag.
Kaum dass er zur Tür hereinkam, stürzte Lorenzini auf ihn zu.
»Ihre Frau hat angerufen und gesagt …«
»Später. Ich möchte jetzt nicht gestört werden.« Er schloss sich in sein Büro ein. Schön, dass Teresa sich wieder an seine Existenz erinnerte. Er würde sie anrufen, wenn er Zeit hatte. Er hatte lange genug gewartet und dem Klingeln des Telefons gelauscht …
Der große gelbe Umschlag lag vor ihm auf dem Schreibtisch. Er drehte ihn um, er war unverschlossen. ›Das hier muss wohl für Sie sein …‹
Die peinlich berührte Miene der jungen Frau.
Eine anonyme Drohung wahrscheinlich. Selbst wenn, was konnte die ihm jetzt noch anhaben? Er hatte gekündigt, es war vorbei.
Er öffnete den Umschlag.
Ein Foto im DIN - A 4-Format. Guarnaccia zog scharf die Luft ein, sein Herz setzte aus.
›Das muss wohl für Sie sein.‹ Natürlich hatten die beiden Parkwächter hineingeschaut und ihn erkannt, mit ausdruckslosem Gesicht, roten Augen vom Blitz und hinter ihm …
… hinter ihm die splitterfasernackte Stripperin, die sich mit dem Rücken zur Kamera zu ihm gebeugt hatte, die Beine weit geöffnet, sein Kopf zwischen ihren Schenkeln.
Das Foto war natürlich getürkt, es sah aus, als säße er am Rande der Bühne, direkt vor den Füßen der Frau, aber dort war er nie gewesen. Er hatte sich nie von seinem Platz wegbewegt, außer zum Hinausgehen. Aber natürlich, die Spiegel! Die Stripperin war natürlich auch im Spiegel hinter ihm zu sehen gewesen. Links unten auf dem Bild konnte er eine ausgestreckte Hand erkennen, etwas verschwommen, als bewege sie sich, auf jeden Fall eine Frauenhand mit rotem Nagellack. Rechts unten war ein leuchtend orangefarbener Halbkreis, Teil des Schirms einer Baseballmütze.
›Komm, mach ein Foto mit deinem Handy, mach schon, komm, noch eins …‹
»Hmmmpf.« Er würde erst gar nicht versuchen, den Parkwächtern irgendetwas zu erklären. Sollten sie ihn doch ruhig komisch angucken, bis die ganze Geschichte herauskam – was aber erst dann passieren durfte, wenn die jungen Frauen und die beiden Kinder in Sicherheit waren. Am liebsten hätte er das Foto in winzige Stücke gerissen und weggeworfen, aber das war Beweismaterial. Er nahm einen Hefter aus seinem Schreibtisch und schob das Foto hinein.
Aus einem ersten Impuls heraus wollte er Nesti anrufen, beschloss dann aber, es nicht zu tun.
Die Informationsquelle unglaubwürdig aussehen zu lassen war die klassische Methode, einer Anklage den Boden zu entziehen.
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