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Vita Nuova

Vita Nuova

Titel: Vita Nuova Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brrazo
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würde nicht wagen … aber vielleicht gibt es ja einen pensionierten Kollegen, den Sie empfehlen können.«
    »Ich … ja … vielleicht kenne ich tatsächlich jemanden. Geben Sie mir doch bitte Ihre Telefonnummer.«
    Er schrieb sich den Namen und die Nummer des Anwalts in sein Notizbuch.
    Wenn der Mann sich ausschließlich mit Zivilklagen befasste, machte es keinen Sinn, ihm seinen Fall darzulegen. Wer weiß, wer alles darein verwickelt war. Und der Neffe? Warum sollte er nicht mit ihm reden? Unter dem Vorwand, dass er noch ein paar Informationen über den Job brauchte. Das allein war ein mehr als ausreichender Grund, den Anwalt zu kontaktieren, und gleichzeitig hätte er die Möglichkeit, den Mann kennenzulernen und abzuschätzen, ob er der Richtige war, den er im Falle eines Falles mit seiner Verteidigung betrauen wollte.
    Er schob den Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf die Aufgabe, den Leuten zu helfen, die nun nach und nach auf der Wache eintrafen. Als sie gingen, hatte er sie zufriedengestellt oder zumindest beruhigt. Doch die ganze Zeit über hatte er an den Anwalt denken müssen. Er würde sich um diesen Job bewerben und ihn bekommen, bevor er Teresa erklären musste, dass er um seine Entlassung nachgesucht hatte. Alles würde gut werden. Sogar besser als bisher. Ihnen würde es bestimmt bessergehen.
    Er zog das Notizbuch aus der Tasche und wählte die Nummer. Der Mann war ganz offensichtlich überrascht, gleichzeitig aber auch hocherfreut.
    »Ich kann Ihnen ja gar nicht sagen, wie froh ich bin. Ich rufe meinen Neffen sofort an und sage ihm, dass Sie vorbeikommen. Unsere Kanzlei ist in der Via Por Santa Maria, direkt gegenüber vom Porcellino-Brunnen. Francesco hat seine Kanzlei im zweiten Stock, direkt unter mir. Sein Name steht an der Tür. Ich freue mich wirklich sehr …«
    Nach dem herrlich langgezogenen, kühlen Start in den Tag traf ihn die Hitze draußen wie eine Keule. Zum Schutz gegen das gleißend helle Sonnenlicht setzte er rasch die Sonnenbrille auf und bahnte sich einen Weg durch die zahllosen Touristen auf dem Ponte Vecchio. Zum ersten Mal fragte er sich nicht, warum sie alle herkamen, sondern überlegte, ob es nicht nett wäre, einer von ihnen zu sein und all die Attraktionen, die Florenz zu bieten hatte, zu genießen, die Gemälde, die Bauten, die Goldschmiedearbeiten in den winzigen Geschäften, die Speisen … und dann einfach in ein Flugzeug zu steigen und wegzufliegen, der Stadt den Rücken zu kehren.
    All die Jahre, die er nun schon in Florenz lebte, hatte er nicht ein einziges Mal eines der Schmuckgeschäfte auf der Brücke betreten, wahrscheinlich hatte er nicht einmal die Hälfte aller Museen besucht, und nur selten gingen sie auswärts essen. Nun ja, bald würde alles anders sein. Er würde einen richtigen Job finden, den auch Totò akzeptabel fand, mit geregelten Arbeitszeiten, Wochenenden, ein ganz normales Leben eben.
    Ein leichter Wind fuhr ihm durchs heiße Gesicht. Hoch oben über dem Fluss segelte eine Wolke dahin, ein Sahnetupfer-Wölkchen, wie Teresa sie nannte.
    Es war viel los auf dem Straßenmarkt, und um den Porcellino-Brunnen nebendran standen zahlreiche Leute, die die glänzende Nase des Bären rieben und Münzen für die Waisenkinder ins Wasser warfen. Was würde mit den beiden Kindern geschehen? Er wusste genau, wer ihnen helfen konnte. Wie hieß der Mann noch mal? Dieser Richter, der das kleine albanische Mädchen irgendwo auf dem Lande untergebracht hatte, nachdem ihr Zuhälter sie aus dem fahrenden Auto auf die Autobahn geworfen hatte … ein Jugendrichter. Wenn er auf diesen Fall angesetzt werden würde, sähe die Sache gleich viel besser aus.
    Er klingelte an der Tür der Kanzlei und trat ins Haus. Zweiter Stock …
    Der Aufzug war irgendwo oben. Er drückte auf den Knopf und wartete. Als die Türen sich öffneten, begrüßte ihn ein Schwall Eau de Cologne, und mit ihm traten zwei Männer heraus – hemdsärmelig und mit Aktenkoffer –, ganz in ihr Gespräch vertieft. Der eine hielt dem Maresciallo die Tür auf.
    »Vielen Dank.«
    Er trat in den Aufzug und schloss die Tür. Es war eine sehr kleine Kabine, in der es intensiv roch, nach den beiden Männern, nach altem, gewachstem Holz und nach diesem Linoleumboden. Er wollte den Knopf mit der Zwei drücken, als ihm schlagartig das Herz in die Hose rutschte, ein Gefühl, als schösse der Aufzug mit Raketengeschwindigkeit nach oben. Was tat er bloß hier? Das hier passierte doch gar nicht, konnte doch

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