Vita Nuova
gar nicht real sein. Es war ihm unmöglich, den Knopf zu drücken. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er zog die Innentür des Aufzugs auf und dann die Außentür. Er würde anrufen, den Termin absagen, er musste nach Hause, sofort. Guarnaccia marschierte zur Brücke. Er wollte duschen, in einer vertrauten Umgebung sein, das kühle Ledersofa berühren, sich in der abgedunkelten Stille des Wohnzimmers ausruhen. Trotz der Hitze ging er schneller, versuchte es zumindest. Die bummelnden Touristen auf der Brücke rempelten ihn an, versperrten ihm den Weg mit den breiten Tragetüten aus den Modegeschäften, den großen Rucksäcken und den Kameras. Auf der anderen Flussseite weckten warme Düfte nach gebackener Pizza, Paprikaschoten und frischen Kräutern seinen Hunger und das vertraute Gefühl der Einsamkeit. Hier und da grüßte einer der Ladenbesitzer.
»Morgen, Maresciallo.«
Er hatte es fast geschafft, war fast zu Hause. Als er den Anstieg zum Palazzo Pitti erklommen hatte, machte er sich schnurstracks auf den Weg in seine Wohnung, wappnete sich innerlich, stellte sich auf die Stille in der sauberen, einsamen Küche ein und öffnete die Tür.
»Na endlich! Wo um Himmels willen treibst du dich denn herum?«
»Teresa …?!«
9
Ich geb dir gleich Teresa! Erzähl mir bloß nicht, Lorenzini hätte dir nicht ausgerichtet, dass du mich am Flughafen abholen sollst. Ich habe fast eine ganze Stunde auf dich gewartet … Aber nein, du brauchst mir nicht zu erzählen, was hier los ist! Warum auch? Ich habe ja nichts Besseres zu tun, als in der Weltgeschichte herumzufliegen und hinter dir herzurennen, statt mich um die Menschen zu kümmern, die wirklich meine Hilfe brauchen … Steh doch da nicht so herum, und hör auf, mich so anzustarren … Was ist denn los mit dir?«
Er folgte ihr, als sie wie ein Tornado in die Küche einfiel. Sie hatte wegen der geschlossenen Läden das Licht angemacht, überall stand oder lag etwas herum, die Schranktüren standen offen, ein Korb mit Wäsche auf dem Boden. Ihre Stimme klang wütend, aber es war ihre Stimme. Sie war nach Hause gekommen.
»In der Weltgeschichte herumfliegen …? Fliegst du etwa wieder zurück?«
»Natürlich fliege ich wieder zurück!«
»Und was kostet das alles? Wir müssen sparen, jetzt, wo … Das können wir uns nicht leisten! Und wo hast du gestern Abend gesteckt? Diese ständige Auswärtsesserei können wir uns auch nicht mehr leisten.«
»Auswärts essen? Das ist es also … und ich habe mir Sorgen gemacht!« Der Kühlschrank stand weit offen, sie hatte ihn ausgeräumt und fuchtelte ihm mit einer kleinen Pfanne unter der Nase herum. Hilflos starrte er auf die rotbraune Kruste darin, ohne irgendetwas zu begreifen. »Gut, zu wissen, dass du dich in den besten Restaurants von Florenz gütlich tust, während ich –«
»Restaurants? Ich habe Tag und Nacht geschuftet, hab nicht schlafen können …«
»Ach ja, klar, das sehe ich, vor allen Dingen an den Restaurantrechnungen auf der Kommode im Schlafzimmer und an den beiden Hosen mit den Rotweinflecken.« Sie schmiss die Pfanne auf die Ablage und hielt ihm die beiden Hosen unter die Nase. Die Weinflecken waren noch immer da, hatten eine rosa Färbung angenommen, die Hosen sahen irgendwie kleiner aus und hatten überall blaue Streifen.
»Was hast du denn mit denen angestellt?«
»Was ich mit denen angestellt habe? Um Himmels willen, Salva!« Sie rollte sie zusammen und stopfte sie in den Müll. »Nagelneu – herrliche Sommerqualität! Was hast du dir dabei gedacht? Hör auf, mich so anzustarren, als hättest du mich noch nie gesehen. Weißt du überhaupt, was für ein Tag heute ist?«
»Natürlich weiß ich, welcher Tag heute ist. Glaubst du etwa, ich kann diese Wache hier leiten, ohne zu wissen, welchen Tag wir haben? Rede nicht so mit mir.«
»Ach, bist du jetzt etwa wütend auf mich? Wag es nicht!«
»Auf dich bin ich nicht wütend.«
»Nun gut, außer mir ist hier nur noch eine Person im Raum.«
»Ich bin –«
»Salva, weißt du nun, welcher Tag heute ist, oder nicht?«
Warum nur fragte sie ihn das immer wieder? Was für ein Tag war denn heute bloß? Er durchforstete sein Hirn nach irgendwelchen wichtigen Jahrestagen oder Geburtstagen, aber das half ihm auch nicht weiter. »Dienstag …«, murmelte er darum hilflos. Das hatte heute Morgen auf den Tagesbefehlen gestanden, daran erinnerte er sich genau.
»Und …? Das ist ja wohl nicht zu fassen! Du hast tatsächlich vergessen, dass Nunziata
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