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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ich ihnen die Kinder überlasse, die uns nicht besonders willkommen sind?«
    »Vater, was heißt das? Du musst es mir sagen!«
    »Vittorio, du wirst dich morgen auf den Weg nach Florenz machen, beim ersten Tageslicht schon, und du wirst Briefe mitnehmen, die ich noch heute Nacht schreibe. Um gegen das hier anzukämpfen, brauche ich mehr als ein paar Landgeistliche. Nun mach dich für die Reise fertig.«
    Ganz plötzlich hob er den Blick. Er schien zu lauschen, dann blickte er um sich. Ich sah, dass es hinter den Fenstern dunkel geworden war. Wir selbst konnten uns gegenseitig nur noch undeutlich sehen, außerdem hatte er den Leuchter umgestoßen. Ich hob ihn auf. Während ich eine der Kerzen nahm, sie an der Fackel neben der Tür ansteckte und dann die anderen Kerzen damit entzündete, beobachtete ich ihn aus den Augenwinkeln. Er lauschte starr und aufmerksam, dann stützte er die Fäus-te auf den Tisch und erhob sich ohne ein Geräusch, scheinbar unbeeindruckt von dem Kerzenlicht, das ihm ins Gesicht fiel und seine empörte, wachsame Miene her-vorhob.
    »Was hört Ihr da, mein Herr?«, fragte ich, wobei ich die formelle Anrede benutzte, ohne es überhaupt zu merken.

    »Das Böse«, flüsterte er. »Heimtückische Wesen, die Gott nur wegen unserer Sünden am Leben lässt. Bewaff-ne dich ordentlich. Bring deine Mutter und deine Geschwister in die Kapelle, und beeil dich. Die Soldaten haben schon ihre Anweisungen.«
    »Soll ich auch Speisen bringen lassen, etwas Brot und Bier vielleicht?«, fragte ich.
    Er nickte so abwesend, als wäre das kaum von Bedeutung. In weniger als einer Stunde waren wir alle in der Kapelle versammelt, die ganze Familie, zu der auch fünf Onkel und drei Tanten zählten, und außerdem waren zwei Kinderfrauen bei uns und Fra' Diamonte.
    Der kleine Altar war wie für die Messe hergerichtet, mit der feinsten bestickten Altardecke und den schwersten goldenen Kandelabern, in denen die Kerzen hell brannten. Das Abbild des Gekreuzigten schimmerte in ihrem Licht, es war ein sehr altes, unbemaltes Schnitzwerk, das schon an dieser Wand hing, seit der heilige Franziskus vor zwei Jahrhunderten angeblich hier in unserer Burg untergekommen war. Diesem Stil entsprechend, war der Christus unbekleidet, ein Abbild gequälten Opferganges, keineswegs so kraftvoll und weltlich-körperlich wie die Kreuzesdarstellungen der heutigen Zeit, und so stand die Machart in starkem Kontrast zu der Reihe der erst kurz zuvor gemalten Heiligen in ihren leuchtenden roten und goldenen Gewändern.
    Wir saßen auf einfachen braunen Bänken, die extra hergebracht worden waren, keiner sprach ein Wort, denn Fra' Diamonte hatte am Morgen die Messe abgehalten und die Hostie - also Leib und Blut des Herrn - in das Tabernakel gefüllt, so dass die Kapelle nun ihrem Zweck als Haus Gottes gerecht wurde.
    Wir aßen das Brot tatsächlich und tranken auch - nahe dem Eingang - ein wenig Bier, aber wir verhielten uns still. Nur mein Vater ging immer wieder kühn nach drau-
    ßen in den von Fackeln erhellten Hof und rief seinen Soldaten in den Türmen und auf den Mauern einige Worte zu, und ein paar Mal stieg er sogar hinauf, um sich zu versichern, dass unter seiner Obhut alles in Ordnung war.
    Meine Onkel hatten sich alle mit Waffen versehen. Die Tanten beteten mit hingebungsvollem Eifer ihren Rosenkranz. Fra' Diamonte war ganz verwirrt, und meine Mutter wirkte beinahe wie tot, so bleich war sie, und ihr war übel, vielleicht von dem Kind, das sie im Leib trug, und sie klammerte sich an meinen Bruder und meine Schwester, die inzwischen beide ganz eindeutig verängstigt waren.
    Es schien, als würde die Nacht ohne Zwischenfall vergehen.
    Es waren nicht mehr ganz zwei Stunden bis Sonnenaufgang, als mich ein grässlicher Schrei aus meinem seich-ten Schlummer weckte. Mein Vater war sofort auf den Füßen, ebenso meine Onkel, die, so gut es ihnen mit ihren alten, krummen Fingern gelang, ihre Schwerter zogen.
    Die Nacht hallte von Schreien wider, die Soldaten gaben Alarm, und lautes, schepperndes Geläute dröhnte von den alten Glocken in jedem Turm.
    Mein Vater packte meinen Arm. »Vittorio, komm«, sagte er, und mit einem Griff zog er die Falltür hoch und stieß sie zurück; dann drückte er mir eine der großen Altar-kerzen in die Hand.
    »Bring deine Mutter, die Tanten und deine Geschwister da runter, sofort, und kommt nicht heraus, egal was ihr hört! Kommt nicht heraus! Verschließ die Falltür hinter euch und bleibt da! Tu, was ich dir

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