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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Diesseits. Sie haben ... sie haben ... Körper, die uns unverständlich sind. Es steht so in der Summa. Da steht, dass die Be-schaffenheit der Engelskörper unser Verständnis über-steigt! Und einen so beschaffenen Körper hat diese Frau, von der ich sprach.« Ich kämpfte um den genauen Wort-laut, um die lateinische Formulierung. »Und so benimmt sich diese Kreatur auch. Sie existiert in einer bestimmten Gestalt, einer begrenzten Gestalt, die ich aber mit dem Verstand nicht fassen kann. Doch sie war dort, und ich weiß es, weil ich gesehen habe, was sie tat.«
    Er bat mich mit einer Geste um Geduld. »Mein Sohn, bitte, erlaubt mir, was Ihr gebeichtet habt, meinem Ober-hirten anzuvertrauen«, sagte er. »Selbstverständlich wird er in diesem Falle ebenfalls durch das Beichtgeheimnis gebunden sein wie ich. Aber erlaubt, dass ich ihm erzäh-le, was Ihr gesagt habt, und ihn bitte, mit Euch zu sprechen. Versteht, dass ich das nur mit Eurer ehrlichen Zustimmung tun kann.«
    »Ja, das ist mir bekannt«, sagte ich. »Wozu soll das gut sein? Aber Ihr könnt Euren Vorgesetzten holen.«
    Nun benahm ich mich viel zu hochnäsig, zu unverschämt.
    Ich war erschöpft. Jetzt hielt ich mich an den alten Trick der hohen Herren, einen Landgeistlichen wie einen Bediensteten zu behandeln. Dies war ein Mann Gottes, und ich musste mich zügeln. Vielleicht war der erfahrene Priester ja belesener, hatte eine tiefere Einsicht in die Dinge? Ach, aber wer sollte das alles verstehen, wenn er es nicht gesehen hatte?
    In meinem Gedächtnis tauchte flüchtig, aber mit lebhafter Schärfe das Gesicht meines Vaters auf, mit dem beunru-higten Ausdruck, den es an dem Abend vor dem Anschlag der Dämonen hatte. Es erfüllte mich mit unsägli-chem Schmerz.
    »Es tut mir Leid, Vater«, sagte ich zu dem Priester. Ich ächzte leise, versuchte, diese schrecklichen Bilder im Zaum zu halten, die mich mit Gram und Hoffnungslosigkeit überfluteten. Ich fragte mich, warum man überhaupt lebte, aus welchem Grund!
    Und dann kamen mir die Worte meines köstlichen Folter-knechts wieder in den Sinn, Ursulas schmerzlicher Ton, in dem sie letzte Nacht gesagt hatte, dass auch sie jung gewesen sei und ein solcher Ausbund an Mut. Was hatte das zu bedeuten, dass sie so kummerbeladen von sich selbst gesprochen hatte?
    Meine Studien zu Thomas von Aquin holten mich nun ein. War es nicht so, dass Dämonen von ihrem Hass auf die Menschen nie und nimmer abließen, fest verhaftet in ebendem Hochmut, der sie auch zur Sünde verleitet hatte? Ganz anders das geschmeidige, köstliche Geschöpf, das mich heimgesucht hatte. Aber das war alberne Ein-bildung. Ich hatte Mitleid mit ihr, und genau das hatte sie bewirken wollen. Mir blieben nur noch ein paar Stunden Tageslicht, um ihre Vernichtung zu planen, und ich musste damit vorankommen.
    »Ja, bitte, Vater, wie Ihr wünscht«, sagte ich deshalb.
    »Nur segnet mich zuvor.«
    Das riss ihn aus seiner bekümmerten Grübelei. Er sah auf, als hätte ich ihn erschreckt, gab mir aber sofort die Absolution und seinen Segen.
    »Was Euren Pfarrherrn betrifft, so tut, was Ihr wollt«, sagte ich. »Ja, fragt ihn bitte, ob er mich sehen will. Und hier, für Eure Kirche.« Dabei gab ich ihm einige Dukaten. Er starrte die Münzen an, doch er berührte sie nicht. Er starrte auf die Goldstücke, als wären es glühende Kohlen.
    »Vater, nehmt. Dies ist ein netter kleiner Schatz. Nehmt.«
    »Nein, wartet hier - oder, wisst Ihr was? Kommt hinaus in den Garten.«
    Der Garten war ein entzückendes, abgeschiedenes Plätzchen, von dem aus man einen Blick auf die Stadt hatte, die sich den Hügel hinauf bis zu der Festung wand, von wo aus man über die Stadtmauern hinweg bis in die Berge schauen konnte. Es gab ein altes Standbild des heiligen Dominik, einen Brunnen und eine Bank. In die Steine waren ein paar Worte eingeritzt, etwas über ein Wunder.
    Ich ließ mich auf der Bank nieder und sah hinauf zu dem klaren blauen Himmel und den jungfräulich weißen Wolken, und ich versuchte, zu mir selbst zu kommen. War ich vielleicht verrückt, fragte ich mich. Das war ja lach-haft.
    Ich fuhr zusammen, als der Pfarrer aus dem niedrigen, gewölbten Gang der Pfarrei herausgeeilt kam, ein schon älterer Mann, beinahe kahl, mit kleiner Knollennase und großen, wütenden Augen. Der junge Priester musste laufen, um mit ihm Schritt zu halten.
    »Verschwindet hier«, zischte er mir zu. »Verlasst die Stadt. Verschwindet ganz einfach von hier und erzählt Eure Geschichte keinem

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