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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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aber immer noch mit derselben wohl erzogenen Haltung.
    »Du provozierst Ärger in mir, Vittorio, und das kann ich nicht gebrauchen.«
    »Euch bleibt nur noch wenig Zeit, alter Dämon«, sagte ich. »Also feiert munter in Eurer antiquierten Burg, solange es noch geht.«
    Ursula stieß einen gedämpften Schrei aus, aber ich ließ mich nicht aufhalten. »Ihr mögt vielleicht die alte Generation gekauft haben, diese Schwachköpfe, die im Moment über die Stadt gebieten«, sagte ich, »aber wenn Ihr nicht glauben wollt, dass die neuen Ideen aus Florenz, Mailand und Venedig schneller, als Ihr es verhindern könnt, auf Euch eindringen, dann träumt Ihr. Es sind nicht Männer wie mein Vater, die für Euch eine Bedrohung darstellen, Gnädiger Herr. Es sind die Gelehrten mit ihren Büchern, die Astrologen an den Universitäten und die Alchemisten, die Euch bald einholen werden; das neue Zeitalter ist es, von dem Ihr gar nichts wisst, und das wird Euch in die Enge treiben, Euch zur Strecke bringen, wie man die Ungeheuer in den alten Geschichten zur Strecke bringt. Ihr werdet aus Eurem Unterschlupf in das Licht der Sonne gezerrt werden, man wird euch die Köpfe ab-schlagen, euch allen ...«
    »Tötet ihn!« Das war eine weibliche Stimme aus den Zu-schauerreihen.
    »Vernichtet ihn auf der Stelle«, sagte ein Mann.
    »Er ist nicht einmal für den Stall geeignet!«, schrie ein anderer.
    »Er ist es nicht wert, auch nur eine Sekunde in den Stall gesteckt zu werden, nicht einmal wert, geopfert zu werden.«
    Und dann ereiferte sich ein ganzer Chor und verlangte meinen Tod.
    »Nein«, rief Ursula und streckte dem Fürsten aufgeregt ihre Arme entgegen. »Florian, ich bitte dich!«
    »Die Folter! Die Folter! Die Folter!«, ertönte ein Sprech-chor, zwei, drei, vier, immer mehr fielen ein.
    »Mein Herr«, sagte der Alte, aber ich konnte seine Stimme kaum verstehen, »er ist doch noch ein Junge.
    Wir sollten ihn zu den anderen in die Hürde stecken.
    Nach ein bis zwei Nächten wird er sich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnern. Er wird so zahm und lahm wie die anderen sein.«
    »Tötet ihn jetzt«, überschrie eine Stimme alle anderen.
    »Macht Schluss mit ihm«, riefen andere, die ihre Wünsche nur noch lauter äußerten.
    Ein durchdringender Ruf ertönte, der sofort von anderen aufgenommen wurde: »Reißt ihn in Stücke. Sofort!«
    »Ja! Ja! Ja!«, hallte es wie das Dröhnen einer Trommel in der Schlacht.

    7

    DIE HÜRDE

    Godric, der Alte, rief mit schallender Stimme zur Stille auf, genau im richtigen Moment, denn es hatten sich schon zahlreiche gletscherkalte Hände um meine Arme gelegt.
    Ja, in Florenz hatte ich einmal gesehen, wie ein Mann vom Pöbel in Stücke gerissen wurde. Ich war dem Schauspiel näher gewesen, als mir lieb war, und wäre bei dem mühsamen Versuch, ihm auszuweichen, beinahe von denen zertrampelt worden, die das Gleiche vorhat-ten. Es war also nicht reine Fantasie, wenn ich mir das lebhaft vorstellen konnte. Ich fügte mich dieser Art zu sterben ebenso wie jeder anderen Todesart, da ich wohl ebenso fest an meinen Zorn und meine Rechtschaffen-heit glaubte wie an den Tod.
    Doch Godric befahl den Bluttrinkern, sich zurückzuzie-hen, und die gesamte bleiche Gesellschaft tat das mit einem höfischen Anstand, der affig und unangenehm wirkte; Köpfe senkten sich oder wandten sich zur Seite, als ob man sich nicht einen Moment zuvor wie der rei-
    ßende Pöbel gebärdet hätte.
    Ich hielt den Blick auf den Burgherrn gerichtet, dessen Gesicht nun solches Feuer zeigte, dass es beinahe menschliche Züge hatte. Das Blut pochte in den mageren Wangen, und der Mund war trotz seiner gefälligen Form schwarz wie getrocknetes Blut auf einer Narbe. Sein dunkelgoldenes Haar wirkte fast braun, und in seinen blauen Augen spiegelten sich Nachdenklichkeit und Be-troffenheit.
    »Ich stehe dafür, dass er zu den anderen gebracht wird«, sagte Godric, der kahle Alte.
    Daraufhin brach Ursula in Schluchzen aus, als könnte sie sich nun nicht mehr länger zügeln. Ich schaute zu ihr hin-
    über und sah, dass sie den Kopf hängen ließ und ihre Hände sich mühten, ihr Gesicht zu verdecken, und durch die Lücken zwischen ihren langen, schlanken Fingern rannen Blutstropfen hervor, als bestünden ihre Tränen aus Blut.
    »Weine nicht«, sagte ich, ohne mir zu überlegen, ob das klug war. »Ursula, du hast dein Möglichstes getan. Ich bin wirklich unerträglich.«
    Godric drehte sich um, eine dickfaltige Braue erhoben, sah er mich an. Jetzt

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