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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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stand er nahe genug, dass ich doch noch einige Haare auf seinem kahlen Schädel erkennen konnte - graue Borsten, dick wie Augenbrauen und hässlich wie alte Holzsplitter.
    Ursula zog aus den Falten ihres langen, hochtaillierten Gewandes ein rosenrotes Tuch aus zartem Stoff, der ringsum mit grünen Blättchen und rosa Blümchen bestickt war, und trocknete damit ihre hübschen roten Trä-
    nen, dabei sah sie mich an, als würde sie von Sehnsucht verzehrt.
    »Meine Lage ist hoffnungslos«, sagte ich zu ihr. »Du hast getan, was du konntest, um mich zu retten. Am liebsten würde ich dich in die Arme schließen, um dich vor dieser Pein zu schützen, aber es geht ja nicht. Dieses Ungeheuer hier hält mich gefangen.«
    Empörtes Keuchen und Murmeln erhob sich aus der schweigenden Gesellschaft in ihrer düsteren Tracht. Und ich ließ meinen Blick schnell, so dass ich alles nur undeutlich erfasste, über die hageren, totenbleichen Gesichter gleiten, die die Tafel rechts und links des Burgherrn säumten - sah Damen, die ihren rosenfarbe-nen Kopfputz mit dem Schleier auf die typisch alte französische Art trugen, so dass nicht ein Haar ihrer Frisur sichtbar war. Sie wirkten in ihrer fränkischen Art gleichzeitig lächerlich und schrecklich zerbrechlich. Und natürlich waren sie alle Dämonen.
    Der kahle Alte, Godric, lachte nur leise in sich hinein.
    »Dämonen!«, sagte ich laut. »Eine ganze Ansammlung!«
    »In die Hürde, zu den anderen, gnädiger Herr«, sagte Godric, »und dann möchte ich Euch unter vier Augen meine Vorschläge unterbreiten. Und mit Ursula sprechen wir noch. Sie grämt sich allzu sehr.«
    »Ja, das stimmt«, rief sie. »Bitte, Florian, und sei es nur, weil ich nie zuvor dergleichen verlangt habe, und das weißt du.«
    »Ja, Ursula«, sagte der Fürst so sanft, wie ich ihn bisher nicht hatte sprechen hören, »ich weiß es, meine entzü-
    ckende Blume. Aber dieser junge Mann ist widerspenstig, und wenn sich einer unserer Angehörigen das eine oder andere Mal beim Jagen zu weit von hier entfernt hatte, hat es seine Familie stets ausgenutzt und hat den Un-glücklichen vernichtet. Und das mehr als einmal.«
    »Fantastisch!«, rief ich. »Sie waren tapfer, waren wunderbar! Damit macht Ihr mir wirklich ein Geschenk.«
    Der Burgherr zeigte Verwunderung und Arger.
    Aber Ursula hastete in einem Wirbel dunklen Samtes zur Tafel und beugte sich über die polierte Fläche dicht zu ihm. Ich konnte nur ihr Haar mit den dicken Flechten sehen, in die kunstvoll rote Samtbänder eingearbeitet waren, und ihre hinreißend geformten Arme, so vollkommen, schlank und doch üppig, bezauberten mich gegen meinen Willen.
    »In die Hürde, bitte, mein Herr«, bettelte sie. »Und lasst ihn mir doch wenigstens so viele Nächte, bis mein Herz sich damit ausgesöhnt hat. Erlaubt ihm, der Mitter-nachtsmesse beizuwohnen, damit er staunen lernt.«
    Ich sagte nichts dazu. Aber ich merkte es mir gut.
    Zwei der Gesellschaft, glatt rasierte Männer in Hofklei-dung, tauchten plötzlich an meiner Seite auf, offenbar als Hilfe für Godric, der mich fortschaffen wollte.
    Ehe ich wusste, wie mir geschah, legten sie mir eine weiche Binde über die Augen. Ich konnte nichts mehr sehen.
    »Nein, lasst mir die Augen frei!«, schrie ich.
    »In die Hürde also, nun gut«, hörte ich die Stimme des Burgherrn, dabei spürte ich, wie ich aus dem Raum ge-führt wurde, und zwar mit einer Geschwindigkeit, als ob die Füße meiner Eskorte kaum den Boden berührten. Die Musik hub aufs Neue an mit ihrem geisterhaften, pochenden Rhythmus, doch barmherzigerweise entfernte man mich aus ihrer Hörweite. Nur Ursulas Stimme begleitete mich, als ich die Treppen hinaufgetragen wurde, wobei meine Füße immer wieder grob gegen ein paar Stufen schlugen und die Finger, die mich gepackt hatten, mir in ihrer Achtlosigkeit wehtaten.
    »Halt still, bitte, Vittorio, wehr dich nicht, sei tapfer und schweig, für mich.«
    »Und warum, meine Liebste?«, fragte ich. »Warum hängst du dein Herz an mich? Kannst du mich überhaupt küssen, ohne dass ich deine bohrenden Zähne spüren muss?«
    »Ja und abermals ja«, hauchte sie an meinem Ohr.
    Ich wurde einen langen Gang entlang gezerrt. Ich vernahm einen Chor lauter, durcheinander hallender Stimmen, gewöhnliche, vulgäre Sprache. Dann spürte ich den Hauch offenen Geländes und vernahm eine völlig andere Art von Klängen.
    »Was ist das? Wohin gehen wir?«, fragte ich.
    Hinter mir das Geräusch sich schließender Tore, und dann wurde

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