Vittorio
hören.«
»Nein«, sagte der etwas Strengere der beiden, dabei erhob er den Zeigefinger vor mir, als schelte er ein Kind.
Aber ich ließ mich nicht zum Schweigen bringen. »Ich weiß deinen Namen. Ich habe ihn bei eurem Streit aufge-schnappt, und jetzt, da ich dir ins Gesicht sehe, klingt er mir wieder im Ohr. Ramiel, so heißt du. Und ihr beide, ihr seid Fra' Filippos Schutzengel.«
»Das ist eine Katastrophe«, flüsterte Ramiel mit zutiefst unglücklicher Miene. »Wie konnte das nur geschehen?«
Setheus schüttelte nur den Kopf und lächelte abermals sein großzügiges Lächeln. »Das muss doch etwas Gutes bedeuten, das kann nicht anders sein. Wir müssen mit ihm gehen. Das ist klar.«
»Jetzt? Jetzt hier weggehen?«, fragte Ramiel, und auch in diesem Moment war trotz der Dringlichkeit kein Ärger zu verspüren. Man hatte den Eindruck, als wären all ihre Gedanken völlig befreit von niederen Gefühlsregungen, und natürlich stimmte das, es stimmte haargenau.
Setheus beugte sich dicht zu dem alten Mann, der ihn natürlich weder sehen noch hören konnte, und dann flü-
sterte er ihm ins Ohr: »Bringt den Jungen ins Kloster San Marco; lasst ihn in einer ordentlichen Zelle unterbringen, denn er hat genug Geld; dort sollen sie ihn gesund pflegen.«
Dann sah er mich an. »Wir werden mit dir gehen.«
»Das geht nicht«, wandte Ramiel ein. »Wir können unseren Schutzbefohlenen nicht im Stich lassen; das geht nicht, nicht ohne Erlaubnis!«
»Es soll so sein. Und das ist so gut wie eine Erlaubnis.
Ich weiß das«, sagte Setheus. »Siehst du nicht, was passiert ist? Er hat uns gesehen, er hat uns gehört, er hat sogar deinen Namen aufgefangen, und er hätte auch meinen entdeckt, wenn ich ihn nicht schon vorher genannt hätte. Armer Vittorio, wir sind bei dir.«
Ich nickte und brach fast in Tränen aus, weil er mich persönlich angesprochen hatte.
Um diese großen, stillen, blühenden Gestalten in ihren fein gesponnenen, lichtdurchwebten Gewändern war die gesamte Gasse trüb, gedämpft und undeutlich geworden.
Der Stoff strich leise um ihre Glieder, als wäre dieses himmlische Gespinst unsichtbaren Luftströmungen ausgesetzt, die ein Mensch nicht spüren konnte.
»Das sind nicht unsere richtigen Namen!«, sagte Ramiel missbilligend, aber in freundlichem Ton, als schelte er mit einem Kinde.
Setheus lächelte. »Du kannst uns ruhig so nennen, Vittorio«, sagte er.
Plötzlich sagte der Mann, der die ganze Zeit neben mir gestanden hatte: »Ja, komm, wir bringen ihn nach San Marco. Die Mönche werden das in die Hand nehmen.«
Damit drängten sie mich eilig zur Mündung der Gasse.
»Man wird dich in San Marco ausgezeichnet betreuen«, sagte Ramiel, als ob er mir damit Lebewohl sagen wollte, aber die beiden Engel blieben an unserer Seite, fielen nur ein weniges zurück.
»Lasst mich nicht allein, ihr beiden, das könnt ihr nicht machen!«, sagte ich zu ihnen.
Sie schienen verblüfft, doch sie hielten mit uns Schritt.
Ihre in herrlichen Falten herabfallenden spinnwebdünnen Gewänder waren unbefleckt vom Regen, die Säume blitzsauber, als hätten sie das Pflaster nicht einmal be-rührt, und ihre nackten Füßen boten einen köstlich zarten Anblick.
»Es ist schon gut, Vittorio«, sagte Setheus beruhigend,
»hab keine Sorge, wir kommen mit.«
»Wir können unseren Schutzbefohlenen nicht einfach wegen eines anderen Menschen verlassen, das geht einfach nicht.« Ramiel protestierte immer noch.
»Es ist Gottes Wille, wie könnte es anders sein?«
»Und Mastema? Müssen wir nicht Mastema fragen?«, wollte Ramiel wissen.
»Warum sollten wir Mastema fragen? Warum sollten wir ihm Sorgen bereiten? Er muss es doch schon wissen!«
Und nun war es wieder so weit, abermals waren sie in eine Diskussion verstrickt, während ich eilig durch die Stadt geführt wurde. Das Stahlblau des Himmels leuchtete hell, verblasste und wandelte sich schließlich in Blau, als wir einen großen, offenen Platz erreichten. Die Sonne versetzte mir einen Schock und verursachte mir Übelkeit, und doch, wie innig wünschte ich mir Sonnenschein, wie sehnte ich mich danach, und trotzdem stieß er mich ab und schien mich zu verbrennen wie die Striemen einer Peitsche.
Wir waren nicht mehr weit von dem Kloster entfernt. Meine Beine würden gleich unter mir nachgeben. Ich schaute mich immer wieder um. Die beiden glanzvollen, gold-strahlenden Gestalten folgten uns schweigend, doch Setheus bedeutete mir weiterzugehen und sagte: »Wir sind ja da,
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