Vittorio
euch wahrge-nommen zu haben, Kraft gibt?«
»Wird es dir Kraft geben?«, fragte Mastema.
»Du spielst auf sie an, nicht wahr?«
»Meinst du?«, fragte er.
»Ich werde es zu Ende bringen, aber du musst mir eines sagen ...«
»Was muss ich dir sagen?«
»Ihre Seele, wird sie zur Hölle fahren?«
»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete Mastema.
»Du musst es mir sagen!«
»Nein, ich muss gar nichts, außer das, wozu mich der Herrgott geschaffen hat, und das tue ich. Aber die Ge-heimnisse zu lösen, über denen der heilige Augustin ein ganzes Leben lang gegrübelt hat, nein, das muss ich nicht tun und sollte ich nicht tun und will ich nicht tun.«
Mastema nahm das Buch auf. Wieder bewegten sich die Seiten nach seinem Willen. Ich spürte den Luftzug des Umblätterns. Dann las er vor:
Die beflügelte Auseinandersetzung mit der Schrift ist dem Geiste sehr einträglich.
»Du brauchst mir das nicht vorzulesen, es ist nicht sehr hilfreich!«, sagte ich. »Kann sie erlöst werden? Kann sie ihre Seele retten? Hat sie überhaupt noch eine Seele? Ist sie so mächtig wie du, der Engel? Könntest du fallen?
Kann der Teufel sich wieder Gott anschließen?«
Er legte das Buch mit einer raschen, leichten Bewegung ab, der ich kaum folgen konnte.
»Bist du bereit für diese kleine Schlacht?«, fragte er.
»Am Tage liegen sie wehrlos in ihren Verstecken«, sagte Setheus zu mir. »Auch sie, Ursula. Auch sie kann sich nicht wehren. Du musst die Steinplatten über ihnen entfernen, und dann weißt du, was zu tun ist.«
Mastema schüttelte den Kopf. Er wandte sich um und bedeutete den anderen, aus dem Weg zu gehen.
»Nein, bitte, ich bitte dich!«, sagte Ramiel. »Tu es für ihn.
Bitte, tu es. Filippo ist für unsere Hilfe im Moment sowieso nicht zugänglich.«
»Das weißt du nicht!«, sagte Mastema.
»Können nicht meine Engel zu ihm gehen? Habe ich selbst denn keine Schutzengel, die man zu ihm schicken könnte?«
Ich hatte das noch nicht ganz ausgesprochen, als ich bemerkte, dass noch zwei weitere Wesenheiten Gestalt an-genommen hatten; sie standen unmittelbar neben mir, zu meiner rechten und linken Seite. Wandte ich den Blick nach rechts oder links, konnte ich sie sehen, doch sie waren nur schwach sichtbar und wirkten irgendwie un-nahbar. Sie hatten nicht die flammende Lebendigkeit von Filippos Schutzengeln. Da war eine unbestreitbare Prä-
senz und Willenskraft, aber irgendwie verhalten und nicht ganz offen sichtbar.
Ich betrachtete sie lange, erst den einen, dann den anderen, doch ich fand in meinem Geiste nichts, womit ich sie hätte beschreiben können. Ihre Mienen schienen aus-druckslos, geduldig und still. Sie waren groß und besa-
ßen Flügel, ja, so viel kann ich sagen, aber mehr auch nicht, denn ich war nicht in der Lage, ihnen Farbe oder Glanz oder Individualität zu geben, es war nichts an ihnen, weder ihre Gewänder noch die Art ihrer Bewegungen, das mich dazu verleitet hätte, sie zu lieben.
»Was ist das? Warum wollen sie nicht mit mir sprechen?
Warum sehen sie mich so an?«
»Sie kennen dich«, sagte Ramiel.
»Du bist erfüllt von Rachegedanken und Verlangen«, er-klärte Setheus. »Das wissen sie, sie waren immer an deiner Seite. Sie kannten das Maß deines Schmerzes und deines Zorns.«
»Guter Gott, diese Dämonen haben meine ganze Familie getötet!«, erklärte ich. »Weiß auch nur einer von euch, was aus meiner Seele wird?«
»Natürlich nicht«, sagte Mastema. »Wenn wir das wüssten, was sollten wir dann noch hier? Keiner von uns wäre hier, wenn das Schicksal deiner Seele vorherbestimmt wäre.«
»Wissen sie nicht, dass ich lieber dem Tode ins Auge ge-schaut habe, als das Blut der Dämonen anzunehmen?
Hätte eine echte Vendetta nicht verlangt, dass ich das Blut von meinen Feinden entgegennehme und sie dann vernichte, sobald ich die gleichen Fähigkeiten habe wie sie?«
Meine Engel rückten näher an mich heran.
»Ach, wo wart ihr, als ich dem Tode nahe war?«, fragte ich.
»Tadele sie nicht. Du hast nie richtig an sie geglaubt.«
Das war Ramiel. »Du liebtest uns erst, als du unsere Erscheinung sahst. Und als das Blut der Dämonen in dir floss, da sahst du, was dir liebenswert erschien. Darin liegt nun die Gefahr. Kannst du töten, was du liebst?«
»Ich werde sie alle vernichten«, sagte ich. »So oder so, ich schwöre es tief in meiner Seele.« Ich blickte auf meine farblosen, unnachgiebigen, jedoch vorurteilslosen Schutzengel, dann zu den anderen, die sich so flammend
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