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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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neumodische Kriegsmaschine. Der Boden war verschmutzt. Und auf allen Seiten waren Fenster eingelassen, Reihe um Reihe zogen sie sich hin mit ihren doppelten Spitzbögen. Und alle waren mit eisernen Gitterstäben versehen.

    »Jetzt brauche ich dich, Mastema«, sagte ich. Wieder schlug ich das Kreuz. Ich zog den Rosenkranz hervor, und indem ich meinen Blick einen Moment lang auf dem winzigen verkrümmten Leib unseres gequälten Herrn Christus ruhen ließ, küsste ich das Kruzifix.
    Die riesigen Tore vor mir brachen auf. Ein lautes Knar-ren, dann das Splittern metallener Bolzen, und das Tor öffnete sich ächzend zu einem fernen, sonnenhellen Innenhof, der wesentlich größer war als dieser hier. Die Mauern, durch die wir nun schritten, waren neun oder zehn Meter tief, die auf beiden Seiten eingelassenen bogenförmigen Türen aus dickem, behauenem Stein. Hier sah ich zum ersten Mal, seit wir eingedrungen waren, Anzeichen sorgfältiger Pflege.
    »Diese Geschöpfe kommen und gehen nicht wie normale Menschen«, sagte ich. Ich beschleunigte meinen Schritt, um bald wieder ins helle Sonnenlicht des Innenhofes zu kommen. In dem Durchgang mit seinen fauligen Ausdünstungen war mir die Bergluft zu kühl und feucht.
    Und als ich mich nun hier aufrichtete, sah ich Fensterrei-hen, wie ich sie in Erinnerung hatte, mit reich bestickten Bannern behängt und mit Laternen, die abends angezündet wurden. Hier sah ich Gobelins achtlos über Fenster-simse geworfen, als könnte der Regen ihnen nichts anhaben. Und viel weiter oben sah ich die gezackten Zinnen und Mauerkronen aus feinem weißem Marmor.
    Aber das war noch nicht der große Hof der inneren Burg.
    Diese Mauern waren zu grob gearbeitet. Das ver-schmutzte Pflaster war seit Jahren nicht mehr betreten worden. Wasser hatte sich in Pfützen gesammelt, und aus den Mauernischen wucherte Unkraut, aber, ah, dort wuchsen hübsche Wildblumen, und bewegt betrachtete ich sie und berührte sie zart mit dem Finger, verwundert, dass sie überhaupt hier wachsen konnten. Ein anderes Tor erwartete uns, seine beiden Flügel - riesenhafte, mit Eisen verstärkte hölzerne Flügel, die hoch oben in dem tiefen marmornen Torbogen zusammenliefen - gaben nach und führten uns durch weitere Gemäuer hindurch.
    Oh, welch ein Garten empfing uns hier! Noch während wir abermals eine dunkle Strecke von zehn Metern Länge durchquerten, sah ich vor uns weite Orangenhaine und hörte Vogelrufe. Ich fragte mich, ob die Vögel hier unten in Gefangenschaft gehalten wurden oder ob sie sich bis über die Mauerkronen erheben und fortfliegen konnten.
    Ja, offensichtlich. Es war genug Raum da. Und hier fand ich auch die feinen weißen Marmorverkleidungen, an die ich mich erinnerte und die bis ganz oben an die Mauerkrone reichten.
    Während ich diesen Garten betrat, meinen Schritt über den ersten der Marmorpfade lenkte, die zwischen Beeten mit Veilchen und Rosen hindurchführten, sah ich die um-herfliegenden Vögel. In weiten Kreisen stiegen sie in diesem Hof auf, bis sie über die Türme hinwegfliegen konnten, die so majestätisch in den fernen Himmel ragten.
    Aus allen Ecken wehte mir Blumenduft entgegen. Lilien und Iris standen dicht beieinander, und die Orangen an den Zweigen waren reif und beinahe schon rötlich ge-färbt. Die Zitronen waren allerdings noch hart und hatten grüne Stellen. Büsche und Kletterpflanzen schmiegten sich an die Mauern.
    Die Engel scharten sich um mich. Nun erst merkte ich, dass ich selbst die ganze Zeit über vorangegangen war, dass ich die Richtung vorgegeben hatte und ich es war, der uns alle hier inmitten dieses Gartens festhielt. Sie standen abwartend da, während ich mit geneigtem Kopf lauschte.
    »Ich dachte, ich könnte die Gefangenen hören«, sagte ich. »Aber ich höre nichts.«

    Ich schaute zu den verschwenderisch verzierten Balkonen und doppelten Fensterflügeln mit ihren Spitzbögen auf, fand hier und da einen lang gezogenen Erker, alle in eben jenem filigranen, fremden Stil, wie wir ihn bei uns nicht kannten. Flaggen flatterten, alle hatten die dunkle, blutrote, vom Tod gefärbte Tönung. Zum ersten Mal blickte ich bewusst auf meine eigenen leuchtend roten Kleider.
    »Wie frisches Blut«, hauchte ich.
    »Kümmere dich um das, was Vorrang hat«, sagte Mastema. »Wenn du zu den Gefangenen gehst, darf es ruhig schon dämmern, aber über deine Beute musst du dich nun hermachen!«
    »Wo sind sie? Wirst du es mir sagen?«
    »Sie liegen - und dieser Frevel ist beabsichtigt - unter

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