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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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überhaupt eine Schlacht? Es würde ein Massaker! Ich legte den kurzen, glockigen Umhang um, der zu den Kleidern gehörte, und befestigte ihn mit goldenen Spangen. Für die Stadt war er wohl ein wenig zu warm, denn er war mit weichem, dunklem Eichhörnchenfell gefüttert. Den Hut ignorierte ich. Doch ich band die Börse an meinen Gürtel und legte meine Ringe an, einen nach dem andern, bis meine Hände gespickt damit waren und so schwer, dass sie einer Waffe gleichkamen. Darüber zog ich die weich ge-fütterten Handschuhe. Ich fand einen Rosenkranz, den ich zuvor nicht bemerkt hatte. Seine Perlen waren aus dunklem Bernstein, und ein goldenes Kreuz war daran befestigt, das ich küsste, ehe ich ihn in die Innentasche meiner Tunika schob.
    Ich hatte meinen Blick zu Boden gerichtet und sah nackte Füße neben meinen eigenen stehen. Ich blickte langsam nach oben. Da standen meine Engel, meine eigenen Schutzengel, in langen, fließenden Gewändern von dunklem Blau, die aus etwas zu bestehen schienen, das leichter als Seide war, wenn auch nicht so durchscheinend.
    Ihr Teint war elfenbeinweiß und schimmerte schwach, und ihre großen Augen wirkten wie Opale. Ihr Haar war dunkel und offenbar stetig in Bewegung, als wäre es aus Schatten gemacht.
    Sie standen vor mir und blickten mich an. Die Köpfe hatten sie aneinander gelehnt. Es sah aus, als stünden sie in schweigender Verbindung miteinander. Sie überwältig-ten mich nachgerade. Mir schien es von ungeheurer Inti-mität, sie so lebendig und aus solcher Nähe zu sehen und zu wissen, dass es die beiden waren, die von jeher an meiner Seite geweilt hatten - das nahm ich jedenfalls an. Sie überragten die Menschen in der Größe ein wenig, wie es auch bei den anderen Engeln der Fall war, die ich gesehen hatte. Allerdings hatten sie nicht den lieblichen Ausdruck jener, sondern ihre Züge waren im Ganzen etwas glatter und derber, und ihr Mund war größer, wenn auch edel geschnitten.
    »Und glaubst du noch immer nicht an uns?«, flüsterte der eine.
    »Nennt ihr mir eure Namen?«, fragte ich.
    Beide schüttelten gleichzeitig in schlichter Verneinung den Kopf.
    »Liebt ihr mich?«, wollte ich wissen.
    »Wo steht geschrieben, dass wir dich lieben müssen?«, antwortete der, der bisher noch nichts gesagt hatte. Seine Stimme war tonlos und weich wie ein Flüstern, aber artikulierter. Ihre beiden Stimmen schienen gleich zu sein.
    »Liebst du uns?«, fragte der andere.
    Ich fragte zurück: »Warum seid ihr meine Hüter?«
    »Weil wir dazu bestellt sind und deshalb bis zu deinem Tode an deiner Seite sein werden.«
    »Ohne Liebe?«, fragte ich.
    Wieder schüttelten sie verneinend die Köpfe.
    Allmählich wurde es heller im Raum. Ich drehte mich hastig zum Fenster um, denn ich dachte, es wäre die Sonne. Die Sonne kann mir nichts anhaben, dachte ich. Aber es war nicht die Sonne, sondern Mastema, der hinter mir aufragte wie eine goldene Wolke, und rechts und links von ihm standen meine beiden Wortfechter, meine für-sprechenden Anwälte, meine Streiter - Ramiel und Setheus. Der Raum schimmerte und schien geräuschlos zu vibrieren, und es war, als ob meine Engel abwech-selnd in glitzerndem Weiß und Dunkelblau erstrahlten.
    Alle Augen waren auf den helmbewehrten Mastema gerichtet.
    Ein überwältigendes melodisches Rascheln erfüllte die Zelle, ein hell klingendes Geräusch, als ob eine ganze Schar winziger, goldkehliger Vögelchen erwachte und aus den Zweigen ihrer sonnenüberglänzten Bäume ins Firmament aufstiege.
    Ich musste wohl die Augen geschlossen haben. Ich verlor das Gleichgewicht, die Luft kühlte sich ab, und mir schien der Blick von Staub vernebelt. Ich schüttelte verwirrt den Kopf und sah mich um.
    Wir standen mitten in der Burg. Es war feucht und sehr dunkel hier. Lichtstreifen sickerten durch die Ritzen der Zugbrücke, die natürlich aufgezogen und verzurrt war.
    Auf beiden Seiten erhoben sich rohe Steinmauern, mit enormen rostigen Haken und Ketten versehen, die seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden waren. Ich wandte mich um und betrat einen düsteren Innenhof, wo es mir jäh den Atem verschlug, so hoch waren die Mauern, die mich nun umgaben und hinauf zu dem quadratischen Stückchen strahlend blauen Himmels strebten.
    Das hier im Eingangsbereich war bestimmt nur einer von vielen Höfen, denn vor uns ragte drohend ein weiteres doppelflügeliges Tor, groß genug, dass der größte Heu-wagen, den man sich vorstellen konnte, hindurchpasste oder sogar irgendeine

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