Vittorio
folgten ihm. Da stand über Gott: Für IHN macht es keinen Unterschied, uns beten zu sehen oder unseren Gebeten zu lauschen, denn selbst wenn seine Engel uns lauschen, so lauscht ER uns doch in ihnen.
Ich brach ab, Tränen standen mir in den Augen. Er nahm das Buch fort, damit meine Tränen nicht darauf tropften.
Geräusche drangen zu unserem kleinen Kreis vor. Mönche waren unterwegs. Ich hörte sie draußen im Gang flüstern, und dann öffnete sich die Tür, und sie kamen in die Bibliothek.
Ich weinte, und als ich den Blick hob, sah ich ihre Blicke auf mich geheftet; zwei Mönche, die ich noch nie gesehen hatte oder an die ich mich nicht erinnern konnte.
»Was ist denn, junger Mann? Warum sitzt du hier ganz allein und weinst?«, fragte der erste.
»Komm her, wir bringen dich zurück ins Bett. Wir werden dir etwas zu essen bringen.«
»Nein, ich kann nichts essen«, sagte ich.
»Das stimmt, er kann noch nichts essen«, bestätigte der erste. »Ihm wird immer noch übel davon. Aber er kann ruhen.« Dabei sah er mich an. Ich schaute mich um. Die drei Engel betrachteten schweigend die Mönche, die keine Ahnung von ihrer Gegenwart hatten, da sie nicht in der Lage waren, sie zu sehen!
»Lieber Gott im Himmel, sagt mir bitte, bin ich wahnsinnig geworden? Haben die Dämonen über mich gesiegt, haben ihr Blut und ihr Gebräu mich derart verseucht, dass ich Wahnvorstellungen habe, oder geht es mir wie Maria, die zum Grabe ging und einen Engel sah?«
»Komm zu Bett«, sagten die Mönche nur.
»Nein«, sprach Mastema still zu einem der Mönche, die ihn weder hörten noch sahen. »Lasst ihn hier bleiben.
Lasst ihn lesen, damit sich sein Geist beruhigen kann.
Der Junge ist gebildet.«
»Nein, nein«, sagte der Mönch unter Kopfschütteln und schaute seinen Mitbruder an. »Wir sollten ihn hier in Ru-he lassen. Er ist ein gebildeter Junge. Er kann still hier sitzen und lesen. Cosimo hat gesagt, er soll alles bekommen, wonach er verlangt.«
»Geht«, sagte Setheus sanft, »lasst ihn in Frieden.«
»Pssst«, sagte Ramiel, »überlass das Mastema.«
Ich war so überwältigt von Kummer und Glück gleichzeitig, dass ich gar nicht reagierte. Ich schlug die Hände vors Gesicht, und dabei musste ich an meine arme Ursula denken, die auf ewig an ihren dämonischen Hof gebunden war, und daran, wie sie um mich geweint hatte.
»Wie konnte das sein?«, flüsterte ich hinter meinen Händen.
»Weil sie einst selbst ein Mensch war und ein menschliches Herz hat«, sagte Mastema zu mir in die Stille hinein.
Inzwischen huschten die beiden Mönche aus der Bibliothek. Für einen kurzen Moment waren die drei Engel durchscheinend wie Licht, so dass ich durch sie hindurch die beiden davoneilenden Gestalten sehen konnte, ehe sich die Türflügel hinter ihnen schlossen.
Mastema schaute mich mit seinem ruhigen, kraftvollen Blick an . »Dein Gesichtsausdruck ist undurchdringlich«, sagte ich.
»Das ist bei den meisten Engeln so«, antwortete er.
»Ich bitte dich«, sagte ich, »komm mit mir. Hilf mir. Leite mich an. Tu, was du gerade auch mit den Mönchen gemacht hast! Wenigstens das darfst du doch, oder?«
Er nickte.
»Aber weißt du, mehr als das ist nicht möglich«, sagte Setheus.
»Das soll ihm Mastema sagen!«, warf Ramiel ein.
»Geh doch zurück in den Himmel!«, sagte Setheus zu ihm.
»Bitte, ihr beiden, seid still!«, sagte Mastema. »Vittorio, ich kann sie nicht erschlagen. Ich habe nicht die Erlaubnis. Das musst du tun, mit deinem eigenen Schwert.«
»Aber ihr werdet mich begleiten?«
»Ich werde dich dorthin bringen«, sagte er. »Wenn die Sonne aufgeht, wenn sie unter ihrer steinernen Festung schlafen. Aber erschlagen musst du sie, du musst sie dem Tageslicht aussetzen, und du musst die elenden Gefangenen befreien. Du musst den Städtern entgegen-treten oder diese verkrüppelte Schar in die Freiheit entlassen und fliehen.«
»Ich verstehe.«
»Wir können die Steinplatten von ihren Schlafplätzen ab-heben, das geht doch?«, sagte Setheus. Er hob die Hän-de, um Ramiel zum Schweigen zu bringen, ehe er noch protestieren konnte. »Das müssen wir sogar tun!«
»Ja, das können wir«, bestätigte Mastema. »So wie wir verhindern können, dass Filippo ein Balken auf den Kopf fällt. Das ist möglich. Aber wir dürfen sie nicht niedermachen. Und du, Vittorio, wir können dich nicht zwingen, die Sache zu Ende zu bringen, wenn deine Nerven oder deine Willenskraft versagen.«
»Glaubt ihr nicht, dass mir dieses Wunder,
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