Vittorio
ein schwelendes Feuer aus Herbstlaub.
Asche flog auf, kleine Ascheblättchen, doch meistens zerfiel der Kopf nur langsam zu einer schmierigen, schwarz verkohlten, klebrigen Masse.
Mussten sie leiden? Wussten sie, was ihnen geschah?
Wohin flohen ihre Seelen in diesem schrecklichen Augenblick, da ihr Hof zerstört wurde, ich brüllend und stampfend mein Werk verrichtete und mit zurückgewor-fenem Kopf röhrte und schrie, bis ich den Tränenschleier vor meinen Augen nicht mehr durchdringen konnte.
Etwa zwanzig hatte ich schon erledigt, zwanzig bestimmt, und mein Schwert war so von geronnenem Blut verklebt, dass ich es abwischen musste. Ich rieb es an den Wäm-sern der Leichname ab, während ich an ihren verstümmelten Leibern entlang zurückging, um mir die andere Seite des Gewölbes vorzunehmen. Bei ihrem Anblick wunderte ich mich darüber, wie schnell ihre weißen Hände auf ihrer Brust schrumpelten und eintrockneten, wie langsam und zäh doch bei Tage das schwärzliche Blut aus ihren aufgerissenen Rümpfen sickerte.
»Tot seid ihr, alle tot! Aber wohin seid ihr gegangen? Wohin hat es eure lebendige Seele verschlagen?«
Nach und nach wurde es dunkler. Ich blickte schwer at-mend zu Mastema auf.
»Die Sonne steht im Zenit«, sagte er milde. Er war unbefleckt, obwohl er dicht bei den verkohlten, stinkenden Köpfen stand. Besonders viel Qualm schien von den Augäpfeln aufzusteigen, so, als ob sich die gallertartige Masse geradezu in Rauch auflöste.
»Hier in der Kirche ist es dämmerig, aber wir haben erst Mittag. Beeil dich. Auf dieser Seite gibt es noch einmal zwanzig, das weißt du. An die Arbeit!«
Die anderen Engel standen stockstill zusammenge-drängt, Setheus und Ramiel in ihren kostbaren Gewändern und die beiden anderen, diese schlichteren, einfa-cheren, ernsteren Seelen - alle hielten den Blick voller Spannung auf mich gerichtet. Ich sah, wie Setheus erst auf die glimmenden Häupter blickte, dann wieder auf mich. »Mach weiter, Vittorio, du Ärmster«, flüsterte er,
»beeil dich.«
»Könntest du das tun?«, fragte ich.
»Nein, ich nicht.«
»Nein, ich weiß, dass du es nicht darfst«, sagte ich. Mir schmerzte die Brust von der Anstrengung und von den Worten, die ich mir abzwang. »Ich meine, ob du dazu in der Lage wärest? Könntest du dich dazu durchringen?«
»Ich bin kein Wesen aus Fleisch und Blut, Vittorio«, war Setheus' hilflose Antwort. »Aber was Gott mir befiehlt, könnte ich vollbringen.«
Im Vorbeigehen warf ich einen Blick auf sie, die da bei-sammenstanden, strahlend, glanzvoll, samt ihrem Meister, Mastema, mit seiner im Licht schimmernden Rüstung und dem blitzenden Schwert an der Seite.
Er sagte nichts.
Ich wandte mich ab und machte mich daran, die erste Hülle fortzureißen. Es war Ursula!
»Nein.« Ich trat zurück und ließ das Tuch fallen. Ich stand so weit von ihr entfernt, dass sie wohl nicht aufgewacht war; sie rührte sich nicht. Ihre entzückenden Arme waren in der gleichen anmutigen Geste zusammengelegt wie die der anderen und gemahnte an ein Totenbett. Nur sah es bei ihr rührend aus, als wäre über ihre unschuldsvolle Mädchenhaftigkeit ganz sanft ein Verderben hereinge-brochen, ohne auch nur ein Haar ihrer langen, welligen Mähne zu krümmen. Sie bildete ein goldenes Nest um ihre Schultern und den Schwanenhals.
Ich hörte mein eigenes schweres Atmen. Ich ließ das Schwert sinken, so dass die Spitze sirrend über die Steine kratzte. Ich leckte mir über die ausgetrockneten Lippen. Ich wagte nicht, sie anzusehen, die Engel, die nur ein paar Meter entfernt beieinander standen und mich betrachteten. Und durch die undurchdringliche Stille klang das Knistern und Zischeln der verkohlenden Häupter der Verdammten.
Ich griff in meine Tasche und zog den Rosenkranz aus Bernstein hervor. Dabei zitterte meine Hand so sehr, dass ich mich schämte. Ich nahm den Rosenkranz, hob ihn hoch, ließ das Kreuz vor meinen Augen leise pendeln und schleuderte ihn von mir. Er landete auf Ursulas Busen, knapp über ihren kleinen Händen, auf der weißen Wölbung ihrer halb entblößten Brüste. Da lag er, das Kreuz in die Mulde ihrer bleichen Haut geschmiegt, aber es entlockte ihr keine Regung. Wie Staub lag das Licht auf ihren Wimpern.
Ohne Entschuldigung oder Erklärung wandte ich mich dem nächsten Dämon zu, riss die Hülle fort und griff ihn -
oder sie, was wusste ich denn - mit einem rauen Aufschrei an, packte das abgetrennte Haupt bei den dicken braunen Haaren und schleuderte es
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