Viva Espana
die Hände zurück, als hätte sie sich verbrannt. Sekundenlang blickte sie wie betäubt ins Leere. Dann hörte sie Ruy fluchen und kehrte in die Wirklichkeit zurück.
Mit schmerzverzerrter Miene ließ er sich in den Rollstuhl fallen. „Verdammt!" fuhr er sie an. „Hast du mir nicht schon genug angetan? Kannst du dir überhaupt vorstellen, was es für einen Mann bedeutet, von der Frau, die er liebt, verlassen zu werden? Behalte dein Mitleid für dich, Davina, ich brauche es nicht. Auch wenn ich körperlich nur noch ein halber Mann bin, in jeder anderen Hinsicht bin ich noch derselbe. Ich habe Gefühle ...
und kann eine Frau immer noch begehren."
Verständnislos sah sie ihn. Dann bemerkte sie die rote Narbe, die quer über die untere Hälfte seines Körpers verlief und unter seiner Badehose verschwand. Davina wurde blass und fing an zu zittern. Schließlich wandte sie sich ab.
„Du ekelst dich davor, stimmt's?" fragte Ruy hart. „Du kannst keinen Mann begehren, dessen Körper entstellt ist. Dein Engländer mit der glatten, hellen Haut ist dir lieber. Verschwinde", forderte er sie verbittert auf. „F ür heute reicht es mir, mehr kann ich nicht ertragen."
Sie drehte sich um und ließ ihn allein. Nachdem-sie den Schock über seine Narbe überwunden hatte, hätte sie am liebsten den Kopf gesenkt und seine Haut geküsst, um seine Qualen zu lindern. Doch Ruy sehnte sich weder nach ihren Küssen noch nach ihrer Liebe, noch nach ihrem Mitgefühl. Das alles wünschte er sich nur von Carmelita.
Der Appetit war ihr vergangen. Sie verzichtete aufs Frühstück und ging geradewegs ins Schlafzimmer. Aber das wurde gerade aufgeräumt. Deshalb hatte sie keine andere Wahl, sie musste sich in den Innenhof setzen, wo Jamie munter mit seiner Großmutter redete und Ruy so ruhig frühstückte, als wäre nichts geschehen.
„Heute Nachmittag fahren wir zum Einkaufen, Davina", verkündete die Condesa. „Als Ruys Frau musst du deiner Position entsprechend gekleidet sein."
„Das ist wirklich nicht nötig ...", begann Davina.
„Du trägst Outfits, in denen nicht einmal unser Hauspersonal herumlaufen würde", unterbrach Ruy sie unbarmherzig. „Was bist du eigentlich für eine Frau, Davina, dass du deinen Körper unter so einem Zeug versteckst? Oder ist es dir egal, was du anhast, weil kein Mann da ist, den du beeindrucken möchtest?"
„Das ist gemein." Sie war verletzt, und ihr stiegen Tränen in die Augen. Natürlich war ihre Kleidung nicht so elegant und so teuer wie Carmelitas, aber etwas anderes konnte sie sich nicht leisten.
„Nächsten Monat bekommen wir Gäste aus Madrid, Geschäftsfreunde. Ich lege Wert darauf, dass du als meine Frau den allerbesten Eindruck machst. Zuvor fahre ich noch auf die Estanzia, um mir die Jungstiere anzusehen. Sie sind bald so weit..."
„Nein, Ruy, darum kann Sebastian sich kümmern", fiel seine Mutter ihm ins Wort. Sie war plötzlich ganz blass geworden. „Du brauchst wirklich nicht..."
„Erwartest du von mir, dass ich mich hinter meinem jünge ren Bruder verstecke?"
fragte Ruy zornig und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Es reicht, Madre. Ich bin immer noch das Familienoberhaupt, und wenn ich sage, ich fahre auf die Estanzia, dann tue ich es auch. Davina und Jamie werden mich begleiten."
Ehe seine Mutter antworten konnte, drehte er sich mit dem Rollstuhl um und fuhr davon.
Davina schenkte sich noch einen Kaffee ein, um ihrer Schwiegermutter Zeit zu lassen, die Fassung zurückzugewinnen. Dann versicherte sie Jamie, dass sein Daddy nicht auf ihn zornig sei.
„Es ist meine Schuld", sagte die Condesa. Ihre Hand zitterte, als sie die Tasse hob.
Was war aus der Frau geworden, die Davina damals wie ein Ungeheuer vorgekommen war? Plötzlich sah sie die ältere Dame mit ganz anderen Augen: Sie war eine Mutter, deren Sohn zutiefst verletzt war und sie zurückwies.
„Er ist so stolz, und ich habe solche Angst um ihn", fuhr die Condesa fort. „Es ist auf der Estanzia passiert. Einer der Jungstiere hat ihn praktisch auf die Hörner genommen. Es war ein Unfall. Ein junger Mitarbeiter hat falsch reagiert, und der Stier ist ausgebrochen.
Ruy war nur zufällig dabei..." Sie verstummte, und Davina sah die Tränen in ihren Augen.
Am liebsten hätte Davina auch geweint. Es war unfassbar. Ruy, dieser stolze, kräftige Mann, war auf die Hilfe seiner Mitmenschen angewiesen. Und dann hatte ihn auch noch die Frau, die er liebte, verlassen. Sie konnte seinen Schmerz nachemp finden. Sie liebte
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