Vogel-Scheuche
›Geschworene‹ drauf«, sagte Metria und zeigte noch einmal die Marke vor. »Und dein Name. Ich muß sämtliche G e schworenen für den Prozeß von Roxanne Roc auftreiben. Wenn du mi t kommst, sorge ich dafür, daß du sicher ans Ziel gelangst. Einige andere in dieser Gruppe sind ebenfalls vorgeladen.«
»Ich zum Beispiel«, sagte Kim. »Und der da«, auf Dug weisend, – »und die«, auf Jenny zeigend.
Die Zentaurin entkrampfte sich etwas. »Also gut. Ich bin Chena.« Sie nahm die Marke entgegen.
Der Tag machte Fortschritte. »Suchen wir uns eine Lagerstelle«, schlug Kim vor. »Morgen ist auch noch ein Tag.«
Metria begriff, daß dieser Vorschlag vor allem darauf abstellte, Chena ruhigzustellen, denn die Zentaurin wirkte immer noch ziemlich verstört. Während Kim sich also daranmachte, ein Nachtlager zu radieren, machte sich Jenny mit einem Kamm über Chenas Haar und Schweif her, um die Verfilzungen herauszustreichen und ihr das Fell ordentlich abzubürsten. Es war komisch anzuhören, wie Jenny brummend vor sich hin fluchte, aber anders waren die Fluchzecken nun einmal nicht zu beseitigen. Sammy Kater suchte ihnen etwas zu essen, und Dug schleppte es herbei. Arnolde und Ichabod sprachen mit der Stute und ließen sich ihre G e schichte erzählen. Dann fing Jenny an zu summen.
Auf der Zentaureninsel wurde ein Fohlen namens Chena geworfen, das ein magisches Talent besaß. Die oberflächliche magische Untersuchung, der sich sämtliche Fohlen unterziehen mußten, spürte das Talent nicht auf, und so konnte Chena eine ganze Weile in freudiger Unwissenheit um ihre schlimme Behinderung vor sich hin leben.
Chena hatte liebevolle Eltern, zwei ältere Fohlenbrüder und viele gleichaltrige Freunde und Freundinnen. Sie war auf ganz normale Weise zufrieden: Sie maulte, weil sie so viel Zeit in der Zentaurenschule zubri n gen mußte, war wütend auf sich selbst, wenn sie beim Bogenschießen mal das Schwarze verfehlte, und entsetzt, wenn sie sich einen wunden Huf zugelegt hatte. »Mutter, ich bin gestrauchelt!« rief sie, als sie nach Hause gehumpelt kam.
»Verwende nicht eine solche Gossensprache«, tadelte die Mutter sie. »Laminitis. Sag es richtig. Nachtmähren straucheln, Zentauren erleiden Anfälle von Laminitis.«
»Ja, liebste Mutter«, erwiderte Chena gehorsam.
»Und jetzt geh zum Arzt, damit er etwas verzauberten Gileadbalsam daraufgibt.«
»Verzauberter Balsam!« erwiderte Chena entsetzt. »Das ist doch Magie, oder nicht?«
»Magie an für sich ist eine sehr nützliche und manchmal sogar no t wendige Sache«, erwiderte ihre Mutter in vernünftigem Ton. »Tatsächlich kann sie sogar richtig bezaubernd sein – bei niederen Lebewesen. Haup t sache, daß sie keine allzu enge Verbindung mit einem Zentauren ei n geht.«
»Ach so.« Aus der Grundhaltung ihrer Geschwister und Freunde hatte Chena den Glauben abgeleitet, daß Magie irgendwie schmutzig sein mü s se. Jetzt aber verstand sie die Unterscheidung zwischen dem Nutzen der Magie und ihrem Besitz, und es wurde ihr auch klar, daß ihre ganzen Freunde in Wirklichkeit nicht allzuviel davon verstanden.
Also suchte sie den Zentaurenarzt auf. »Ich brauche eine Gileadbo m be«, teilte sie ihm mit. »Für meinen wunden Fuß.«
Er lächelte auf diese ärgerlich-überlegene Weise, wie sie die Erwachs e nen überall zur Schau trugen. »Und welcher Fuß bedarf der Detonat i on?«
»Mein rechter Vorderfuß«, erklärte sie und hob ihn ein Stück hoch.
»In der Tat«, sagte er und untersuchte ihn genauer. »Na schön, hier ist die Bombe.« Er rieb eine dicke, duftende Salbe auf, und der Schmerz explodierte nach außen, wo er schließlich verpuffte.
»Ach, danke, Doktor!« rief sie und tänzelte dabei auf dem schmerzfre i en Huf.
»Hier ist noch etwas, für den Fall, daß der Anfall von Laminitis wi e derkehren sollte«, meinte er und überreichte ihr einen vanillefarbenen Umschlag.
Von derlei Routinevorfällen abgesehen, war Chena ein fröhliches und häusliches Zentaurenmädchen. Ihr Hobby waren magische Steine, nun, da sie wußte, daß man durchaus magische Dinge anfassen und handh a ben durfte. Von manchen wußte jeder, daß sie magische Eigenschaften besaßen, auch wenn die wenigsten Leute dazu imstande waren, sie zu wecken, beispielsweise Liebes- und Herdsteine. Andere wiederum mac h ten überhaupt keinen magischen Eindruck, doch war es Chena möglich, ihre verborgenen Kräfte auszumachen.
Obwohl sie es selbst nicht wußte, besaß sie nämlich ein
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