Vogel-Scheuche
herumzunörgeln.«
Kim lachte, sie genoß es. Doch weder Dug noch die Reittiere taten es ihr gleich. Dug wirkte ziemlich ernst, solange er sich nicht bemühte, Kim zu erheitern, und die Zentauren wirkten regelrecht niedergeschlagen.
Sie sausten auf eine Frau zu, die gerade auf einem Musikinstrument spielte. Sie sah aus wie Jenny Elfe, und das Instrument hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Sammy Kater. Sie hob an zu singen, unterbrach sich aber selbst. »Was ist denn los?« fragte Kim besorgt.
»Ich bin Marcia die Sängerin. Mir ist gerade klargeworden, daß es zu früh für mich ist, um zu singen«, erwiderte die Sängerin.
»Oh… du leidest bestimmt unter einem prämusikalischen Trauma«, meinte Kim mitfühlend.
»Ja. So ist das eben.«
Sie fuhren weiter durch eine Reihe von Bögen. Doch da stand ein Mann mit einem Vorschlaghammer, der diese gerade zum Einstürzen brachte. Er sah aus wie Graeboe Riese-Harpyie. »Warum machst du denn die ganzen Bögen kaputt?« wollte Kim von ihm wissen.
»Ich muß. Ich bin darauf spezialisiert, Bögen zu schlagen.«
»Das ist vielleicht ein komischer Ort!« rief Kim, als sie weiter auf eine Schafsweide radelten. Doch inzwischen fingen die Räder an zu schme l zen. Schon bald hatten sie sich in Pfützen aufgelöst, auf denen die Brise kleine Wellen warf. Nun standen Kim und Dug mitten auf der Weide.
»Du hast gewonnen«, sagte Dug. »Du bist ein Stück weiter gekommen als ich, bis dein Rad geschmolzen ist.«
Kim sah sich lachend nach den Schafen um. »Fast hätte ich es aufg e bockt.« Sie merkte nicht, daß weder Dug noch die Zentauren lachten.
Da erblickten sie den schönen Sonnenuntergang. »Ach, das war gerade der schönste Tag meines jungen Lebens!« rief Kim. »Ich könnte platzen vor Aufregung! Ich glaube, meine Seele wird sich gleich in schieres Glück auflösen.«
»Ja«, bestätigte Dug. Er nahm sie in die Arme und küßte sie fest. Die Zentauren zuckten zusammen.
Irgend etwas stimmte hier nicht. Kim schien zu schrumpfen, immer kleiner zu werden, von ihm abzufallen, als hätte er sie geschlagen. »Ach, ich bin erledigt!« rief sie. »Du hast mir die Seele aus dem Leib gesaugt!«
»Richtig«, bestätigte Dug zufrieden. »Und es ist eine prächtige Seele.« Pfeifend ging er davon. Die Zentauren folgten ihm betrübt.
»Was hat er getan?« fragte Metria. Erst jetzt, viel zu spät, viel ihr auf, daß sie sich in einem von Jennys Träumen befand, genau wie die and e ren.
»Er hat ihr die Seele ausgesaugt«, erklärte Jenny. »Er ist ein Seelenva m pir.«
»Das ist ja furchtbar!«
Jenny antwortete nicht. Metria sah entsetzt mit an, wie Kim davon to r kelte und kaum noch den Weg nach Hause fand. Sie wirkte verzweifelt, hoffnungslos, leer und von einem Todeswunsch erfüllt. Doch entdeckte Kim, wie Jenny erklärte, daß vereinzelte Stücke ihrer Seele noch übrig waren, sie hingen an ihren tiefsten Vorlieben, beispielsweise an ihrem grünen Lieblingsdrachendampfer, der nun herauskam und nach ihr suc h te, um ihr schließlich auf dem Weg nach Hause behilflich zu sein. All die Teile kamen zusammen, um sie am Leben zu erhalten, doch waren sie natürlich nur ein Schatten dessen, was sie vorher gewesen war.
Kim war jetzt überwiegend seelenlos, und zusammen mit dieser Hoh l heit kamen auch die niederen Gefühle. Einst war sie glücklich gewesen, jetzt war sie deprimiert. Hatte sie vorher das Leben geliebt, so packte sie nun der Drang zu töten. Sie war auf Rache aus. Sie besorgte sich ein scharfes Messer und fertigte eine verborgene Scheide dafür an, damit sie es stets am Leib tragen konnte.
»Nein, nicht!« riefen die schwächlichen Überreste ihrer Seele matt. »Das ist nicht richtig!«
Doch weil ihr diese Überreste teuer waren, versuchte Kim auf sie zu hören. Sie begab sich zu einem weisen, sanften Mann, um ihn um Hilfe zu bitten. Das war Graeboe Riese-Harpyie, der inzwischen nicht mehr damit beschäftigt war, Bögen zu schlagen. »Mein Kind«, riet er ihr, »str e be nicht nach Rache. Bleibe zu Hause und erhole dich erst einmal. Aus den Bruchstücken, die du noch besitzt, kann deine Seele eines Tages wieder aufs neue erwachsen.«
Es war ein guter Rat, doch fehlte es ihr an Seele, um ihn wirklich ernst zu nehmen. Rache war eine sehr unkomplizierte Vorstellung, Verzeihen dagegen schwierig, jedenfalls für jemanden, dem es an einer vollständ i gen Seele gebrach. Sie hatte geglaubt, daß Dug sie liebte, dabei war er nur hinter ihrer Seele hergewesen. Er hatte
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