Vogel-Scheuche
Diesmal waren es nur drei, die nicht nickten: Com-Puter, dessen Schirm ohnehin nicht nicken konnte, Stanley Drache und Che Zentaur, der als Zentaur wahrscheinlich klüger war als alle a n deren zusammen.
»Und angenommen, daß ihr wegen dieses folgenlosen Verstoßes plöt z lich wegen Verletzung der Erwachsenenverschwörung unter Anklage gestellt worden wäret. Daß ihr trotzdem eurer Loyalität, weit über die Grenzen der normalen Pflichterfüllung hinaus, einer Bestrafung wegen des Bruchs einer Regel entgegensehen müßtet, von der viele meinen, sie sei tatsächlich nur eine sinnlose Einschränkung kindlicher Rechte?« Da zeigten sich auf Com-Puters Schirm eine Reihe von Punkten, die sich zu einem Ausrufezeichen anordneten: seine Art, Zustimmung zu signalisi e ren. Und Che Zentaur, der jüngste unter den Geschworenen, nickte ebenfalls. Das taten auch Cynthia und Chena Zentaur auf der Ersatzg e schworenenbank.
Und Ida folgte diesem Beispiel. »Ihr müßt wissen, wenn ihr einmal g e nauer darüber nachdenkt, ist das Gesetz manchmal mangelhaft. Manc h mal ist es nicht die Person, sondern das Gesetz, das der Berichtigung bedarf. Wenn äußerste Ehrenhaftigkeit und Treue wegen eines Formfe h lers bestraft werden anstatt Belohnung zu erfahren, müßte euch das zu erkennen geben, daß hier etwas nicht mehr stimmt.« Che Zentaur nickte erneut, ebenso einige weitere Geschworene. Auch der Großteil der Z u schauer tat es.
Inzwischen schimmerten Tränen in Prinzessin Idas Augen, und ihr Mond bewölkte sich. »Roxanne Roc hat die besten Jahre ihres Lebens aufgeopfert, um das Beste aus einer manchmal äußerst schwierigen Situ a tion zu machen. Dabei hat sie einen winzigen Fehler begangen. Wer von uns hätte es besser gemacht? Wer von uns hätte nicht auch einmal in seinem Leben einen kleinen Fehler begangen? Wie sollte irgendeiner von uns sie schließlich dafür verurteilen, daß sie nicht vollkommen ist? Di e ses Ei hätte sich keine bessere Bewacherin wünschen können, vom S i murgh persönlich abgesehen! Wie sollen wir die hingebungsvolle Dien e rin dieses Eises belohnen, die so viel getan hat, um es zu erhalten, und die niemals auch nur in die Verlegenheit geraten wäre, diesen Verstoß zu begehen, hätte sie das Ei nicht so treu und fürsorglich bewacht?« Die Tränen spiegelten sich in Kims Augen wider, in Jennys, in Gayles und in Glohas, ebenso in denen der Ersatzgeschworenen, und die anderen blickten unbehaglich drein.
»Wenn dies der Lohn der Tugend sein soll, welche Hoffnung bleibt uns anderen dann noch? Ihr müßt entscheiden, ob es sich mit eurem Gewissen vereinbaren läßt, Roxanne Roc in einem Prozeß zu verurteilen, der eine Schande für das gesamte Wertgefüge Xanths darstellt. Ihr müßt darüber befinden, was hier Recht und was Unrecht ist. Denn wozu sol l ten wir sonst hier sein?«
Ida wandte sich ab und ihr Mond versteckte sich hinter ihrem Kopf, als würde ihn die ganze Sache anwidern. Schweigen im Gerichtssaal. Metria empfand sicherlich genauso wie die anderen: dieser Prozeß war letztendlich völlig lächerlich.
Der Richter richtete die grimmigen Augen auf die Geschworenen. »Es ist nicht eure Aufgabe, über die Gerechtigkeit des Gesetzes zu befinden, nur darüber, ob dagegen verstoßen wurde. Beweismittel und Argumente sind euch unterbreitet worden. Ich wünsche, daß ihr euch darüber im klaren seid, daß ich in dieser Angelegenheit eine angemessene Entsche i dung erwarte. Ich erwarte kein Hängeverfahren. Sollte meiner Erwartung freilich nicht entsprochen werden, so werde ich entscheiden, wie es sein muß. Seht.« Er deutete auf eine von Iris’ Illusionen, die hinter ihm e r schien. Es war eine Art Galgen mit zwölf Schlingen, die sich quälend langsam im Wind drehten. »Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausg e drückt.«
Die Geschworenen schluckten im Chor und nickten. Dies würde kein Hängeverfahren werden.
Richter Fetthuf knallte mit seinem Hammer. »Die Geschworenen we r den sich zur Beratung zurückziehen, und jeder Kontakt zur Außenwelt wird untersagt. Die Verhandlung ist vertagt.«
Geschworene und Ersatzleute begaben sich in ein abgelegenes Zi m mer, während sich im Publikum erleichtertes Gemurmel breitmachte. Der Prozeß war fast am Ende.
Metria hoffte inständig, daß die Geschworenen zur richtigen Entsche i dung finden würden. Doch sie hatte das flaue Gefühl, daß dies keine s wegs sicher war.
16 – Urteil
Mela und Nada waren wieder in ihren Teichen, wo sie einander
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