Vogelfaenger
Büsche, Brombeerranken.Es muss aber jemand hier sein. Jemand, der nicht rangeht, denn der Klingelton wird stufenweise lauter, eine elektronische Melodie, eine, die ich schon mal irgendwo gehört habe. Ich spüre, wie mein Herz bis in den Hals klopft, klebrig ist die Haut dort, Sonnencreme, Schweiß und kleine grüne Fliegen, mein Pferdezopf wippt jedes Mal rauf und runter, wenn ich den Kopf drehe, und ich drehe ihn oft, ein paar lange braune Haare segeln im Sonnenlicht zu Boden, aber ich flüchte nicht, meine Füße stehen immer noch auf der gleichen Stelle, heiße, sandige, sockenlose Füße in ausgetretenen Turnschuhen; es ist irgendwas an dieser Musik, das mich festhält, wie gebannt stehe ich dort, gucke, lausche und fürchte mich, starr wie das Kaninchen vor der Schlange, und erst als der Ton abrupt verstummt, sause ich los.
Gut, dass der Campingplatz so nah ist!
Dort, wo der Pfad unter den Bäumen hervorkommt und auf die Wiese mit den Zelten trifft, kommt mir jemand entgegen. Ich haste mit großen Schritten auf die Person zu. Es ist Jan.
»Morgen!«, sagt er und grinst. »Jogging?«
»Nee.« Ich bleibe pustend und rotgesichtig stehen, stemme die Arme in die Hüften. »Ich hab mich erschrocken.«
»Ooh«, macht er ironisch und legt den Kopf schief. »Die Prinzessin auf der Erbse. Ist Ihre Hoheit einem Bären begegnet? Und der Hofhund hat sie nicht verteidigt?«
»Das war nicht witzig!« Ich knuffe ihn. »Das warmerkwürdig! Ich gehe durch den Wald, kein Mensch da, plötzlich klingelt ein Handy.«
»Ein Handy!«, wiederholt Jan mit tiefer, verstellter Stimme, hebt die Arme und rollt mit den Augen.
Ärgerlich stampfe ich mit dem Fuß auf.
Jan grinst übers ganze Gesicht. »Scheint, als ob jemand sein Telefon verloren hätte.«
»Das könnte natürlich sein«, gebe ich zu und spüre, wie mich die Erleichterung über diese einfache Erklärung zum Lachen bringt. Ich bebe vor Lachen, schüttle die Anspannung ab und sehe ihn voll Freude an. Gut, dass er da ist. Er ist nett. Seine leuchtenden Augen, seine lockere Art.
»Aber wenn du willst, Nele, kann ich mal nachgucken. Nicht, dass da ein Toter im Wald liegt, dessen Handy noch bimmelt.«
»Oh, ihh, hör auf, ich wollte jetzt frühstücken.«
»Mmm, was gibt’s denn? Mein Kühlschrank ist schon wieder leer. So sind wir verwöhnten Jungs, lassen uns alles von Mama vorbeibringen und haben dann nichts zu beißen. Soll ich dir übrigens mal zeigen, wo ich wohne?« Er streckt den Arm aus und schiebt ein paar Zweige zur Seite. Ich sehe einen ausrangierten, bemoosten Wohnwagen und davor einen Holztisch, auf dem stapelweise Comichefte und eine dicke graue Katze liegen. »Direkt hier. Es ist etwas einfach, aber für einen Ferienjob okay. Mein Zimmer zu Hause ist auch nicht größer und ich wollte einfach mal raus, ohne allzu viel dafür tun zu müssen. Hier sitze ich also einsam und allein, lese und zeichne Comics, höre Musik undwarte auf die Freunde, die eigentlich schon längst herkommen und mir Gesellschaft leisten wollten. Meine wachsame Freundin da auf dem Tisch ist Wilhelmine. Meine einzige große Liebe.«
Die Katze hebt den Kopf, faucht einmal warnend in Rockys Richtung und legt die Ohren an. Der schnüffelt leidlich interessiert. Katzen kennt er von zu Hause.
»Ich glaub, Willi ist eifersüchtig.«
» Ei-fer-süch-tig ?«, wiederhole ich, jede Silbe einzeln betonend.
Er lacht. »Nicht auf den Hund, auf das Mädchen mit dem Teufel-Tattoo. Das find ich übrigens echt sympathisch. Ich hab sogar schon versucht, es als Comicfigur zu zeichnen.«
»Wen? Das Tattoo oder das Mädchen?«
»Beide. Aber nicht erschrecken, nicht sauer sein, das mache ich nur so für mich. Das ist einfach ein Traum von mir: Comics zeichnen. Oder zumindest Tattoos entwerfen. Es muss ein starkes Gefühl sein, wenn sich jemand ein Tattoo, das du selbst entworfen hast, auf den Körper machen lässt. Stell dir vor, das bleibt da ja wahrscheinlich für immer.«
Ich grinse.
»Was ist?«
»Du redest so viel. Und rot bist du auch geworden.«
Er schüttelt sich, genau wie ich eben. »Ich … ähh … ach … ich wollt mich nur interessant machen und zum Frühstück einladen.«
Jetzt hoffe ich, dass ich bei seinem Blick nichtauch rot geworden bin. Er hat was Anziehendes, dieser Jan, diese graublauen Augen – beglückend wie Schönwetterlöcher in einem wolkenverhangenen Himmel.
»Okay, dann komm, bist eingeladen!«, sage ich, strecke den Arm aus, als wolle ich mich bei ihm einhaken,
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