Vogelfaenger
genau wissen wird, wie unsicher, schwach und angreifbar wir schon geworden sind.
31
Für den Vogelfänger ist der Hund ein wirkungsvolles Druckmittel. Die Angst um sein kleines Leben wird die Gans endlich gefügig machen.
Damals, als er die andere Freundin seines Täubchens hatte überzeugen müssen, ihm sein Täubchen nicht abspenstig zu machen, hatte er einen anderen Weg gewählt. Drei Minuten Einschüchterung hatten ihm da genügt. Mit Nadine hatte er aber auch leichtes Spiel gehabt. Die Gans dagegen ist zäh.
Um sich von dem jaulenden Hund abzulenken, denkt er an Nadine.
Sie hatte die Sporthalle nach dem Turntraining verlassen und sich von seinem Täubchen mit Wangenküssen verabschiedet. Dann war sie allein durch die Abenddämmerung gegangen, nicht die Hauptstraße entlang wie die anderen, sondern quer über den verlassenen Schulhof zur anderen Seite der Siedlung.
Er, vermummt wie ein Bankräuber, hatte ihr Shampoo gerochen. Nadine summte. Arglos, in Gedanken, mit wippendem Haar. Nadine-Blondine, verabschiede dich. Er war von hinten gekommen. Ein Katzensprung, ein Aufblitzen des Metalls im schwachen Licht der Schulhoflaterne. Ihre blonde Mähne war an manchen Stellen heiß vom Föhnen, an anderen noch feucht und kalt. Zwei Griffe, drei Schnitte, vier Sätze – und das Thema Nadine war Geschichte. Diesmal wird es nicht anders sein. Noch heute schläft sein Täubchen wieder bei ihm.
32
Fabi sitzt auf der Bank neben dem Rezeptionshäuschen. Neben ihm steht ein älterer, untersetzter Mann in Cordhosen: Herr Rotter.
Als wir ankommen, sagt er gerade sehr bestimmend: »Mit der Verletzung müssen Sie auf jeden Fall zum Arzt gehen. Ich passe auf die Mädchen auf, während Sie mit Ihrem Freund im Krankenhaus sind.«
Der Vorschlag gefällt mir nicht. Diese Jungs sind unser Schutzschild, aber ich kann sie natürlich nicht hindern, zum Arzt zu fahren, denn sie helfen uns schon die ganze Zeit und das, obwohl sie uns kaum kennen.
»Na, was ist hier los?«, fragt der breit grinsende, rotgesichtige Campingplatzbesitzer und mustert uns abgekämpfte Mädchen von oben bis unten. »Stress mit den liebestollen Kerlen?« Er lacht auf eine Art, die, wie ich finde, ausdrückt, dass er uns für die eigentlich Schuldigen an dieser Misere hält.
»Mein Hund wurde entführt«, sage ich.
»Ja, ja.« Rotter fährt sich mit den Fingern durch die wenigen Haare, die auf seinem schweißglänzenden Kopf übrig sind. »Dann wollen wir ihn mal suchen.« Er wedelt mit einem dicken Schlüsselbund. »Eigentlich mache ich so was ja nicht, aber gut, ich hab’s zugesagt. Ich erinnere mich auch an den jungen Herrn. Er hat Bungalow drei gemietet.«
Ida stößt laut die Luft aus der Nase aus. »Also hatte er uns die ganze Zeit im Blick!«
»Los«, dränge ich, »Rocky wartet.«
»Würden Sie denn die Mädchen auch wirklich beschützen, während wir beim Arzt sind?«, fragt Fabi zaghaft. »Ich hoffe, dass wir nicht länger als eine Stunde brauchen.« Er wendet sich an Ida: »Dein Vater müsste auch bald hier sein, oder?«
»Gegen Mittag, schätze ich. Dann können wir abhauen.«
»Was soll das heißen?«, rufe ich. »Ich fahre nicht ohne Rocky.«
Sie berührt meinen Arm. »Das weiß ich, aber … was sollen wir denn machen? Wenn’s nun mal nicht anders geht …«
»Ich kann ihn doch nicht allein lassen und aufgeben! Wir müssen notfalls die ganze Gegend durchsuchen, wir müssen deinen Ex anzeigen, ja, genau: Ich zeige den an!«
»Du hast keine Beweise«, widerspricht Ida.
»Die werden sich schon finden! Gib mir mal dein Handy! Meins hat er ja auch schon kaputt gemacht. Ich rufe meine Eltern an und frag die. Ich werde ihnen sagen, dass Lars – wie heißt er weiter?«
»Sag ich nicht!«
»Auch egal! Ich sage ihnen, dass ein Lars, der bei deinem Papa gearbeitet und für ihn Vögel gejagt hat, jetzt unseren Hund entführt hat und wir die Polizei rufen müssen …«
»Das kommt überhaupt nicht infrage!«
»Ach, nein? Und wieso nicht? Auf wessen Seite stehst du?«
»Natürlich bin ich auf deiner Seite – auf unsererSeite. Aber selbst wenn mein Freund zugeben würde, Rocky den Hals umgedreht zu haben, wäre das gerade mal Sachbeschädigung, weil Tiere in Deutschland nur als Sachen gelten, falls du das nicht weißt.«
Jetzt schreie ich: »
Dein Freund?
Ey, was redest du hier eigentlich? Sagt ihr mal was dazu!« Ich wende mich an die Jungs, die uns mit erschrockenen Gesichtern ansehen. Vielleicht hat’s ihnen die Sprache verschlagen,
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