Vogelfrei
Abendessen.«
Sie runzelte die Stirn. »Aber Dylan ...«
»Bitte tu, was ich sage, Liebling. Nur dies eine Mal. Wir sehen uns beim Essen.« Er küsste sie rasch und machte sich dann auf den Weg zum Nordturm.
Als er bei seinem neuen Quartier angelangt war, fand er Malcolm in der Nische vor seiner Tür vor. Er kauerte auf den Fersen auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt, und erhob sich gemächlich, als Dylan auf ihn zukam. »Meinen Glückwunsch, junger Freund.«
Dylan blieb stehen und musterte Malcolm einen Moment lang; er hatte aus den Ereignissen des Nachmittags bereits seine eigenen Schlüsse gezogen. Schließlich sagte er: »Ich danke dir, Malcolm. Aber warum hast du das getan?«
Der ältere Mann zuckte mit den Achseln und wandte den Blick ab. Er wollte offensichtlich aufrichtig sein, war aber auf der Hut. »Es ist bedauerlich, dass keiner der Söhne meines Vetters am Leben geblieben ist. Er hätte einen davon zu einem guten Laird erzogen, der den Clan in diesen schweren Zeiten, wo wir ständig mit Übergriffen des Lowlandabschaums rechnen müssen und von den Gesetzen der Engländer erdrückt werden, zusammengehalten hätte. Weder Artair noch Coll sind darauf vorbereitet worden, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen, sie sehen in der Übernahme des Titels nur die Möglichkeit, zu Wohlstand und Ansehen zu gelangen. Keiner von beiden begreift wirklich, was es bedeutet, Menschen zu leiten und zu schützen, wenn es nicht genug Land gibt, um sie alle zu ernähren.« Er verlagerte sein Gewicht auf ein Bein und spähte die Treppe hinunter, als fürchte er, belauscht zu werden. »Du dagegen besitzt alle notwendigen Fähigkeiten und Eigenschaften, um den Clan zu erhalten, und dir liegt das Wohl der Leute wirklich am Herzen. Außerdem bist du stark genug, dich zu behaupten. Du würdest dir von Artair oder Coll die Macht nicht wieder ohne weiteres entreißen lassen. lain war all dies anfangs nicht bewusst, aber nun hat er es eingesehen. Nur das wollte ich erreichen.«
Dylan hatte noch eine weitere Frage. »Wieso hast du nie daran gezweifelt, dass ich Rodericks Sohn bin?«
Malcolm lächelte, als läge die Antwort auf der Hand. »Aus zwei Gründen. Erstens habe ich beobachtet, wie du mit Menschen umgehst, die unter dir stehen. Du behandelst sie mit Respekt, und du kriechst auch nicht vor Höherstehenden im Staub. Und ich will glauben, dass du Rodericks Sohn bist, denn der Matheson-Clan braucht einen starken Führer, wenn Iain und ich nicht mehr sind, und den hat er in dir und später in deinen Söhnen und Enkeln. Und zweitens«, er kicherte leise, »erkenne auch ich genau wie Sigurd einen Matheson, wenn ich einen sehe.« Er klopfte Dylan auf die Schulter und stieg die Treppe zu seiner eigenen Kammer empor. »Bis später.«
Dylan beschlich das unangenehme Gefühl, in eine Falle gelockt worden zu sein, doch nach eingehender Überlegung fand er die Wendung, die sein Leben nehmen würde, doch sehr verlockend.
Gemessen an dem Standard, an den er sich in der letzten Zeit gewöhnt hatte, war seine neue Unterkunft geradezu luxuriös. Endlich konnte er so etwas wie Privatsphäre genießen, denn die Kammer hatte eine Tür, die sich tatsächlich verriegeln ließ. Obwohl sie direkt unter Malcolms Raum lag, war sie nicht mit einem Glasfenster, sondern nur mit Schießscharten versehen, doch als er sich in eine hineinlehnte und das Gesicht gegen die schmale Öffnung presste, konnte er fast den gesamten See überblicken und sah auch noch die dahinter aufragenden Berge. Jemand hatte bereits ein Feuer im Kamin gemacht, um die Kälte aus dem großen Raum zu vertreiben. Dylan ließ sein Bündel auf das Bett fallen, das dem von Malcolm glich, aber zudem noch mit einem Rahmen für Bettvorhänge ausgestattet war. Vorhänge hingen jedoch nicht daran, und statt eines Schrankes gab es am Fuß des Bettes lediglich eine riesige Truhe.
Er öffnete sie, wobei er sich fragte, ob er jemals genug Sachen besitzen würde, um dieses Monstrum zu füllen. Sein Schwert und sein Wehrgehänge wanderten hinein, gefolgt von Mantel, Tasche, Gamaschen, Dolchen und Schuhen. Dann musterte er das einladend aussehende Bett, löste seinen Gürtel, streifte seinen Kilt ab und legte beides gleichfalls in die Truhe, ehe er den Deckel zuklappte; seufzend streckte er sich auf der Wolldecke aus und schlief augenblicklich ein. Eine lange, ereignisreiche Nacht und ein nicht weniger ereignisreicher Morgen lagen hinter ihm.
Sinanns drängende Stimme weckte
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