Vogelfrei
Wimper, als die Spitze des Schwertes seine Haut ritzte. Iains Augen loderten vor Zorn, und er spie die nächsten Worte förmlich aus. »Du wagst es, so mit mir zu sprechen, obwohl das Blut meiner Tochter noch an deinem Schwanz klebt? Ich sollte dir hier und jetzt die Kehle durchschneiden!« Wutbebend, mit hochrot angelaufenem Gesicht blieb er vor Dylan stehen. Dieser sagte keinen Ton und rührte sich nicht von der Stelle. Wenn Iain seinen Tod wünschte, so würde er sterben, und das war dann das Ende. Aber der Tod war einem Leben ohne Cait entschieden vorzuziehen. Eine fast greifbare Spannung lag in der Luft, während Iain mit sich rang.
Endlich ließ er das Schwert sinken und legte es vor sich auf den Tisch. Dann setzte er sich wieder auf seinen Stuhl, stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und presste die Finger gegen die Lippen. Nach einer Weile lehnte er sich zurück und sah Dylan lange ins Gesicht, ehe er bedächtig sagte: »Wenn der Titel und das Land auf dich übergingen, würdest du dann so für das Wohl meiner Leute sorgen, wie ich es tue?«
Jetzt verstand Dylan überhaupt nichts mehr. »Wie meinst du das?«
»Ich kann meinen Besitz nicht Cait hinterlassen, sondern ich kann sie nur mit einer angemessenen Mitgift ausstatten. Der Titel des Lairds und der Großteil der Ländereien müssen an einen männlichen Erben fallen, aber Coll und Artair sind nicht meine Söhne. Deswegen ist es mir möglich, vor meinem Tod einen männlichen Nachfolger zu bestimmen, und der Clan wird sich höchstwahrscheinlich meinen Wünschen fügen - vorausgesetzt, meine Wahl fällt auf einen geeigneten Mann.«
»Du kannst Coll und Artair enterben?« Damit hatte Dylan nicht gerechnet.
Iain zuckte mit den Achseln. »Wenn sich keiner von ihnen als Laird bewährt, wird der Clan ihnen irgendwann die Gefolgschaft aufkündigen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Falls Coll den Titel erbt und sich als Schwächling erweist, wird Artair versuchen, ihn zu stürzen und selbst an die Macht zu gelangen. Das würde zu Unstimmigkeiten unter den Mathesons führen und schlimmstenfalls sogar einen Krieg innerhalb des Clans auslösen. Als Laird muss ich an die Zukunft all meiner Leute denken, nicht nur an die meiner Tochter. Das ist meine Pflicht, und daran solltest auch du dich schnell gewöhnen.«
»Was ist denn mit Malcolm? Er ist doch ebenso eng mit dir verwandt wie ich.« Enger noch, aber das wusste ja niemand.
»Malcolm ist ein Taggart und mit den Mathesons nur durch die weibliche Linie verwandt. Der Clan würde ihn niemals akzeptieren.«
Jetzt endlich meldete sich auch Malcolm zu Wort. »Außerdem bin ich ein alter Mann. Aber du, Dylan, hast dein ganzes Leben noch vor dir.«
Eine lange Pause entstand, während Dylan das, was innerhalb weniger Minuten auf ihn eingestürmt war, zu verdauen versuchte. Schließlich meinte er bedächtig: »Wenn ich auf deinen Vorschlag eingehe, werden Coll und Artair versuchen, mich zu stürzen.«
»Aye, das werden sie allerdings«, stimmte Iain zu.
»Aber du bist stark genug, um dich gegen sie zur Wehr zu setzen«, warf Malcolm in einem Ton ein, der deutlich besagte, dass Dylan von selbst auf diesen Gedanken hätte kommen müssen. »Wenn du Cait heiratest und Iains rechte Hand wirst, dann wird man dich bald ganz selbstverständlich als seinen Nachfolger betrachten. Du bist im Stande, den Clan zusammenzuhalten, und nach deinem Tod wird der Titel auf deinen und Caits Sohn übergehen. Iains Enkel.«
»Glaubst du wirklich, der Clan würde einen Fremden als neuen Laird akzeptieren?«
Die Besorgnis, die in Iains Augen aufflackerte, verriet Dylan, dass hier tatsächlich der schwache Punkt des Plans lag. Aber der Laird erwiderte nur: »Noch bin ich nicht tot, junger Freund, und ich habe auch nicht vor, Ciorram in der nächsten Zeit zu verlassen. Im Laufe der Zeit wird der Clan dich als meinen Nachfolger annehmen, besonders, wenn ich klar zum Ausdruck bringe, dass dies mein Wunsch und Wille ist.«
Unwillkürlich blickte Dylan auf das Schwert mit dem silbernen Heft hinab, das vor ihm auf dem Tisch lag. Iain entging dies nicht, und er sagte: »Dieses Schwert stammt von meinem Urgroßvater. Unserem Urgroßvater. Es wurde von Clemens Horn für König James VI. von Schottland angefertigt, nachdem man ihn zu James I. von England gekrönt hatte. Der König schenkte es unserem Ahnen als Belohnung für treue Dienste, und seit hundert Jahren wurde es immer vom Vater an den Sohn weitergegeben. Ich aber habe keinen Sohn,
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