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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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Schlafen nieder. Früh am nächsten Morgen drangen sie in den dichten Wald vor, wo schmale Pfade durch ein Dickicht aus Farn, riesigen Pilzen, Moosen, Birken, stacheligem Ginster und majestätischen Kiefern führten. Alles schien von Moos überwuchert zu sein. Bei den Pfadfindern hatte Dylan gelernt, Norden sei auf der Seite, wo Moos an den Bäumen wuchs, aber hier wuchs es überall. Er erschauerte bei der Vorstellung, sich in dieser dunklen, undurchdringlichen Wildnis zu verlaufen.
    Jeder Jäger war mit Schwert, Dolch und Bogen bewaffnet, doch Iain, Coll und Artair trugen überdies noch Musketen bei sich, die Dylan an David Boones Kentucky Long Rifle erinnerten. Der Lauf dieser Waffen entsprach beinahe der Größe eines Mannes, und die Schafte wiesen kunstvolle Messingeinlegearbeit auf. Colls Muskete bestand aus Stahl, der Schaft war mit ineinander verschlungenen Kerben und Furchen verziert. Dylan, der mit Westernfilmen groß geworden war, in denen Waffen nur selten nachgeladen werden mussten, hielt diese Steinschlossgewehre, aus denen nur ein einziger Schuss abgegeben werden konnte, für ausgesprochen unpraktisch. Überdies musste sich der Schütze auch noch mit Pulverhorn, Kugelbeutel und Ladestock abschleppen. Daher war er es zufrieden, mit Pfeil und Bogen zu jagen, und er aß ohnehin lieber Rindfleisch als Wild.
    Trotz des schwierigen Geländes bewegten sich die Jäger leise und geschickt und kamen rasch voran. Als Iain eine frische Fährte entdeckte, wies er Dylan und Malcolm an, an einer erhöhten Stelle Posten zu beziehen, wo sie den Wind gegen sich hatten. Er schlug sich mit den anderen beiden Männern in die Büsche, um die Beute zu umzingeln. Sie benötigten eine gute halbe Stunde dazu. Dylan und Malcolm warteten schweigend ab. Kein Wort fiel zwischen ihnen; beide Männer behielten nur wachsam ihre Umgebung im Auge.
    Dann setzte weit hinten im Wald der Lärm ein. Schwerter klirrten, Äste und Unterholz wurden geknickt, laute Stimmen erfüllten die Luft. Ein Hase hoppelte angsterfüllt an ihnen vorbei, aber sie schenkten ihm keine Beachtung. Vögel flatterten in den Baumkronen auf, ein weiterer Hase lief vorbei, und Dylan fragte sich allmählich, ob das alles gewesen sein sollte, was seine Begleiter aufgescheucht hatten.
    Doch dann hörte er, dass sich ein größeres Tier näherte.
    Malcolm hob seinen Bogen, und Dylan tat es ihm nach, obwohl er die Beute noch gar nicht sehen konnte, der die anderen drei auf den Fersen waren. Aber dann brach eine kleine Ricke mit zottigem rotbraunem Fell aus dem Unterholz, und Dylan ließ seinen Pfeil von der Sehne schnellen.
    Das Nächste, was er bewusst wahrnahm, war Sinanns Stimme, die ihn anflehte, doch endlich aufzuwachen. Er schien im leeren Raum zu schweben, und sein Kopf fühlte sich an, als wäre er in zwei Teile gespalten worden. Mehrmals versuchte er etwas zu sagen, brachte jedoch nur ein Stöhnen hervor. Er lag auf der Erde, neben ihm kniete Malcolm und presste ihm oberhalb des rechten Ohrs ein Tuch gegen den Kopf. Endlich fand er die Sprache wieder. »Wa... was ist denn passiert?«
    »Du bist angeschossen worden. Die Kugel hat die Kopfhaut gestreift und die Spitze deines Ohrs mitgenommen. Du blutest zwar wie ein abgestochenes Schwein, aber du wirst es überleben. Du warst nur ein paar Sekunden bewusstlos.«
    Dylan grunzte, setzte sich mühsam auf und nahm Malcolm das Tuch aus der Hand, um es selbst gegen die Wunde zu drücken. Dann sah er die Mathesons an, die schweigend, mit aschfahlen Gesichtern um ihn herumstanden. Sein Blick blieb an Artair hängen. »Wer ...«
    »Ich war das«, erwiderte Iain rasch. »Die verirrte Kugel stammt aus meiner Flinte. Tut mir Leid.«
    Dylan erkannte eine Lüge, wenn ihm eine aufgetischt wurde, und Iain war überdies ein schlechter Lügner. Sinann bestätigte seine Vermutung. »Glaub ihm kein Wort. Artair hat versucht, dich umzubringen. Schnupper einmal am Lauf seiner Muskete. Na los, mach schon. Iain hat überhaupt keinen Schuss abgegeben.«
    Dylan sah sie an und entschied sich, ihren Rat nicht zu befolgen. Er wusste, dass Artair der Schuldige war, aber er fragte sich, warum Iain sich schützend vor ihn stellte. Er fragte sich auch, ob Malcolm wusste, was wirklich geschehen war, oder ob er Iains Worten Glauben schenkte. Aber er hielt es für sinnlos und vielleicht sogar gefährlich, die Sache weiterzuverfolgen. Mit seinem Brummschädel konnte er ohnehin nicht klar denken. Zum Zeichen, dass er die Entschuldigung annahm, nickte er

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