Vogelfrei
lernt, müsst ihr ganz von vorne anfangen.« Wieder nickten alle. Ein leichter Wind kam auf, und Dylan war dankbar, dass sein Kopfverband ihm das Haar aus der Stirn hielt. Wie am Tag zuvor hatte sich inzwischen auch wieder eine Zuschauermenge im Hof versammelt. Dylan entdeckte Sarah unter ihnen; ein Ausdruck tiefen Kummers lag auf ihrem Gesicht. Er musste die Situation unbedingt so rasch wie möglich klären. Aber wie?
Er begann damit, seinen Schülern die Grundstellung zu zeigen: Füße schulterbreit auseinander, Knie leicht gebeugt, Schultern nach hinten, Arme entspannt baumeln lassen. »Seht ihr«, erklärte er, »so fällt es eurem Gegner schwerer, euch zu Boden zu stoßen. » Er ging auf Robin zu und versetzte ihm einen derben Stoß. Robin schwankte, blieb aber stehen. Dylan fuhr fort: »Seht ihn euch gut an. Er ist vollkommen entspannt. Und jetzt schaut hierher.« Er ging zu Marc und rempelte ihn gleichfalls an. Marc war gezwungen, einen Schritt nach hinten zu machen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dylan dämpfte seine Stimme, sodass nur Marc ihn hören konnte. »Du bist zu steif, zu verkrampft, bleib ganz locker. Die Füße müssen in dieselbe Richtung zeigen.« Marc entspannte sich ein wenig. »Ja, so ist's richtig. Bleib so.« Erneut versetzte er Marc einen Stoß, und diesmal behauptete der junge Mann seine Stellung.
Dylan trat wieder vor die Reihe, da piepste plötzlich der kleine Eóin: »Das ist ungerecht! Mich hast du nicht geschubst!«
»Oh.« Die anderen kicherten, Dylan verbiss sich ein Grinsen, dann ging er zu Eóin hinüber und stieß ihn ganz sacht an. Der kleine Kerl hielt ihm tapfer stand und sah herausfordernd zu, wie Dylan der Form halber auch den beiden anderen Jungen einen Stoß gab.
Am dritten Tag nahm auch Artair am Unterricht teil. Dylan tastete bei seinem Anblick unwillkürlich nach seinem Kopfverband. Ihm schwante Ungutes, doch heute hielt Artair seine scharfe Zunge im Zaum. Er lernte die Bewegungen so schnell und bewies ein solches Geschick, dass Dylans Unbehagen sich noch verstärkte. Er traute diesem aalglatten Burschen einfach nicht über den Weg, trotzdem behandelte er ihn genauso wie seine anderen Schüler.
Im Laufe der nächsten zwei Wochen tat Artair sein Bestes, um sich bei Dylan einzuschmeicheln, doch dieser durchschaute seine Absichten sofort. Bislang hatte sich der Junge an seinen älteren Bruder gehalten, um im Rennen um den Titel des Lairds zu bleiben, wenn Iain Mór einmal tot und Malcolm gleichfalls aus dem Weg geräumt war. Artair würde wahrscheinlich nicht selber erben, aber seine Stellung als Colls rechte Hand würde ihm Macht und Ansehen bringen. Zudem konnte er in dieser Eigenschaft leichter einen Clansaufstand anzetteln, falls Coll sich als schwacher Führer erweisen sollte. Doch nun, da Dylan so unverhofft und kometenhaft in der Clanhierarchie aufgestiegen war, hielt Artair es offenbar für angezeigt, sich mit dem potenziellen Erben gut zu stellen. Sollten weitere Anschläge auf Dylans Leben verübt werden, würde dann auch kein Verdacht mehr auf ihn fallen. Und wenn Dylan tatsächlich einmal den Titel erbte, würde Artair alles tun, um auch sein Vertrauensmann zu werden.
Eine Woche vor der Hochzeit wurde mit den Vorberei-hingen begonnen. Jedes Mal, wenn er Cait sah, strahlte sie geradezu vor Glück. Wenn sie einander beim Essen bei den Händen hielten und er verstohlene Küsse auf ihre Handfläche drückte, meinte er, es kaum noch erwarten zu können, bis sie endlich verheiratet waren. Er konnte sein Glück immer noch kaum fassen, und das Warten wurde für ihn zur süßen Qual.
Er lenkte sich mit seinem neuen Job ab und kümmerte sich um den Erwerb des Grundstückes, auf dem Cait und er leben wollten. Da ihm viel daran lag, Cait in seiner Nähe und Dylan im Auge zu behalten, hatte sich Iain Mór bereit erklärt, Dylan Land in dem kleinen Tal direkt neben Glen Ciorram zu verkaufen, ganz in der Nähe von Alasdairs ehemaligem Hof.
Dylan hatte Bedenken, Land zu erwerben, welches die Whigs bei der nächsten bevorstehenden Erweiterung ihres Territoriums zu konfiszieren versuchen würden, aber der Boden war besser als das Land der MacLeods, wegen dem er bereits in Verhandlungen stand. Außerdem lagen die Felder näher bei der Burg, und er würde keinen Arbeitsdienst leisten müssen. Nach der Hochzeit sollte der Kaufvertrag unterzeichnet werden.
Sobald Cait und er verheiratet waren, würden die Männer des Clans ihnen ein Haus bauen. Schon jetzt musste
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