Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
Vom Netzwerk:
rollte sich auf den Rücken und spürte einen leichten Druck an seinem Hinterkopf. Seine Habseligkeiten auf dem Bauch fest umklammernd, glitt er langsam in nördlicher Richtung auf das Vorgebirge am anderen Ufer zu. Als er die Hafeneinfahrt durchquerte, sah er, dass am Kai gerade ein Boot mit Waren für das Fort ausgeladen wurde. Englische Soldaten eilten geschäftig hin und her und wiesen Arbeiter in Kniebundhosen und kurzen Mänteln an, wo sie Kisten, Fässer und Käfige mit Hühnern abstellen sollten. Dylan kniff die Augen zusammen und betete, dass ihn keiner der Männer im Wasser entdeckte.
    Als er mit dem Kopf gegen den Uferrand stieß, rollte er sich herum und kroch auf allen vieren an Land. »Beeil dich!«, drängte Sinann. »Ins Gebüsch.«
    Dylan rappelte sich auf und gehorchte, es war sinnlos, sich auf Diskussionen mit ihr einzulassen. Im Schutz von hohen Gräsern und dichtem Heidekraut robbte er auf dem Bauch langsam vorwärts, bis er auf einen Wildpfad stieß, den er entlangkroch. Er führte um einen Hügel herum zu einer Flussmündung, die den See mit frischem Wasser speiste. Hier richtete er sich wieder auf und folgte dem Flusslauf landeinwärts, weil er hoffte, bald auf Süßwasser zu stoßen. Das Salz auf seinem Rücken brannte, und seine Kehle war wie ausgedörrt; mühsam schleppte er sich weiter und weiter. Hinter ihm ging die Sonne langsam unter, und in der Ferne hörte er Pfiffe und laute Rufe. Seine Flucht war entdeckt worden.
    »Weiter, weiter«, spornte Sinann ihn an. »Es wird eine Weile dauern, bis sie merken, dass du dich nicht mehr innerhalb der Fortmauern aufhältst.«
    Die Angst vor etwaigen Verfolgern trieb ihn weiter das Tal hinauf, das sich zwischen hoch aufragenden Granitfelsen entlangwand. Auf halber Strecke machte er eine Pause und watete in den Fluss.
    »Sei vorsichtig!«, rief Sinann ihm nach, doch Dylan hatte sich schon in das kalte Wasser fallen lassen und trank gierig, bis sein brennender Durst gestillt war. Danach wäre er am liebsten untergetaucht und nie wieder an die Oberfläche gekommen.
    »Komm endlich raus!«, befahl Sinann.
    »Hmm?«
    »Ich sagte, komm raus! Du bist schon so weit gekommen, und jetzt willst du zulassen, dass die Rotröcke dich wie ein Stück Treibholz aus dem Wasser fischen? Du kannst jetzt nicht einfach aufgeben.«
    Seufzend gab Dylan nach, krabbelte aus dem Wasser und setzte seinen Marsch fort.
    »Wenn ich es fertig bringen würde, dich höher als ein paar Fuß in die Luft zu hieven, dann wärst du noch vor Sonnenuntergang in Ciorram. Aber das kann ich nicht, genauso wenig wie ich dich tragen kann. Also setz dich endlich in Bewegung.«
    Doch Dylan brachte nicht mehr die Kraft dazu auf. Jede Faser seines Körpers schmerzte, er hatte seit zwei Tagen nicht mehr geschlafen und seit drei Tagen nichts mehr gegessen; stöhnend schüttelte er den Kopf.
    »Dann versuch wenigstens, es bis zu den Bäumen dort drüben zu schaffen, da kannst du dich verstecken.«
    Dylan blickte sich um: Direkt vor ihm lag ein kleines Waldstück. Mit letzter Kraft rappelte er sich auf und taumelte, sein Bündel mit Kleidern und Waffen fest an sich gepresst, auf die schützenden Bäume zu. Jeder Schritt verursachte ihm Höllenqualen. Sowie er sich ein Stück in den Wald hineingeschleppt hatte, brach er zwischen Farnen und Pilzen zusammen und verlor das Bewusstsein.
    Stimmen drangen an sein Ohr. Dylan hoffte, dass sie Engeln gehörten. Er hoffte, er wäre tot, denn er wollte nicht in die nur aus Schmerzen und Qualen bestehende Welt zurückkehren, die auf ihn wartete. Aber die Stimmen sprachen Gälisch. Zumindest waren die Männer, denen sie gehörten, keine Engländer, obwohl er wusste, dass es auch ein paar Schotten gab, die ihm nach dem Leben trachteten. Einer der Männer sagte: »Meinst du, er gehört zu der Garnison?«
    »Ich kann nur beten, dass sie ihn nicht in der Schenke von Banavie so zugerichtet haben. Weck ihn auf, wir wollen ihn fragen, wer er ist.«
    Ehe irgendjemand auf die Idee kam, ihn anzurühren, schlug Dylan die Augen auf und stöhnte leise. Zwei Männer standen vor ihm, das erkannte er an der Anzahl der Füße direkt vor seinem Gesicht. Die erste Stimme meinte: »Zumindest bist du noch am Leben.«
    Wieder stöhnte Dylan; er hoffte, sie würden das für ein Ja nehmen.
    »Hast du auch einen Namen, Freundchen?«
    Es dauerte einen Moment, bis Dylan seine Stimme wieder fand, dann rollte er sich auf die Seite und blinzelte zu den Fremden empor. Er konnte sie nur

Weitere Kostenlose Bücher