Vogelfrei
Kohlen und heißen Eisens stieg ihm in die Nase und brachte ihm zu Bewusstsein, dass bald der Gestank seines eigenen verkohlten Fleisches den Raum erfüllen würde. »Nein«, flüsterte er wieder. »Nein ...«
»Also wollt Ihr endlich den Mund aufmachen?« Bedford kam mit gänzlich unbeteiligter Miene zu ihm herübergeschlendert, griff nach Dylans Kruzifix und riss es ihm mit einem Ruck vom Hals. Er musterte das Kreuz verächtlich, murmelte: »Verdammter Papist« und ließ es in seine Tasche gleiten.
Dylan presste die Lippen zusammen und schloss die Augen. Er hoffte nur, sein Körper würde inzwischen so geschwächt sein, dass er rasch die Besinnung verlor. Eine merkwürdige Benommenheit hatte von ihm Besitz ergriffen; ihm war, als würde er schweben, und sein Kopf summte wie ein Bienenstock. Wenn er doch nur seinen Körper verlassen könnte und nie mehr in ihn zurückkehren müsste. Wenn doch nur ...
»Immer noch verstockt? Na schön. Behauptet nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt.«
Tränen quollen unter Dylans Lidern hervor. Er musste all seine Willenskraft aufbieten, um nicht um Gnade zu winseln. Als er die Augen wieder aufschlug, stand der Soldat vor ihm, die rot glühende Zange in der behandschuhten Hand. In diesem Augenblick entschied Dylan, dass der Zeitpunkt zum Sterben gekommen war. Allerdings würde das schneller vonstatten gehen, als es seine beiden Peiniger geplant hatten.
Er hängte sich mit seinem vollen Gewicht an die Kette, zog die Beine an und versetzte dem Soldaten einen kräftigen Tritt in den Magen. Der Rotrock taumelte zurück und ließ die Zange fallen. Bedford lachte. »Das wird unser Freund hier noch bereuen, nicht wahr?« Doch als sich der Dragoner bückte, um sein Folterwerkzeug wieder aufzuheben, zog Dylan erneut das gesunde Bein bis zur Hüfte an. Obgleich er vor Schmerzen zu zittern begann, verharrte er in dieser Position, bis der Soldat sich wieder aufrichtete. Bedford warnte ihn noch in leicht spöttischem Ton: »Gebt Acht, diese Schotten sind unberechenbar!«, doch da traf Dylans Fuß den Rotrock bereits mitten ins Gesicht und trieb ihm das Nasenbein ins Gehirn. Der Mann torkelte rücklings gegen die Wand, sackte in sich zusammen und blieb reglos am Boden liegen; Mund und Kinn waren mit Blut überströmt.
»Gütiger Gott!« Bedford klang zutiefst erschrocken. Dylan hörte, wie er sein Schwert zog. Gleich war alles vorbei, in der nächsten Minute würde er sterben, daran bestand kein Zweifel.
Ein schriller Schrei über seinem Kopf ließ ihn aufblicken. »Tink!« Tatsächlich, da war Sinann, sie schwebte direkt über ihm. Noch ehe er begriff, was hier vor sich ging, winkte sie mit der Hand, und seine Fesseln schnappten auf.
Dylan fiel zu Boden, und Bedfords Angriff ging ins Leere. Dylan rollte sich zur Seite und trat nach dem Major. Bedford stolperte, fast wäre er gestürzt.
Die plötzliche Hoffnung auf Flucht verlieh Dylan ungeahnte Kräfte. Er rappelte sich auf, stürzte sich auf sein eigenes Schwert, das noch auf dem Tisch lag, und riss es aus der Scheide. Mit der Waffe in der Hand drehte er sich herum, um seinem Gegner entgegenzutreten. Der Sassunach hatte sich wieder gefangen und starrte ihn an, nackte Wut loderte in seinen Augen. Dylan sah sich um: In dem schmalen Raum hatte er nicht genügend Bewegungsfreiheit, zumal er unsicher auf einem Bein herumhumpeln musste; er konnte sich also lediglich auf sein Geschick beim Fechten verlassen. Bedford achtete darauf, dass sich der Holzpfahl stets zwischen ihnen befand. Er rechnete wohl damit, dass Dylan versuchen würde, die Tür zu erreichen. In diesem Fall könnte Bedford ihn draußen stellen und zugleich Alarm schlagen. Doch Dylan war zu erfahren, um in diese Falle zu tappen, er wusste, dass er den Major zum Schweigen bringen musste, ehe er zur Tür hinaus fliehen durfte.
Kurz nacheinander führte er mehrere schnelle Hiebe in Bedfords Richtung, aber außer ein wenig Schwertergeklirr erreichte er nichts damit. Ihm war klar, er musste verhindern, dass der Rotrock auf die andere Seite, zur Tür hinüber gelangte, genau wie Bedford vermeiden wollte, Dylan im direkten Kampf, ohne den Holzpfeiler als Deckung, begegnen zu müssen.
Sinann schwebte immer noch über seinen Kopf. »Töte ihn!« kreischte sie. »Töte diesen elenden Bastard!«
Ohne den Blick von Bedford zu wenden, erwiderte Dylan: »Ich hoffe doch sehr, dass du mit mir sprichst, Tink.«
Bedford runzelte verwirrt die Stirn.
»Töte das englische Schwein!«
Dylan
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