Vogelfrei
vermutete, dass Murchadh der letzte Freier dieses Abends gewesen war, alle anderen waren offensichtlich schon an die Reihe gekommen. In diesem Moment fiel der Blick der Hure auf ihn, und sie kreischte vergnügt: »Na, komm schon, Süßer! Du wirst es nicht bereuen. Ich werd's dir gut besorgen.« Sie raffte ihre Röcke und entblößte ihre Knöchel, als wolle sie ihn damit anheizen.
Tatsächlich ließ ihn dieser Anblick nicht kalt. Dylan musste über sich selbst lächeln. Er, der er in einem Jahrhundert aufgewachsen war, wo ihm an jedem Zeitungskiosk halb nackte Frauen entgegengelächelt hatten, geriet angesichts eines bloßen Knöchels und eines schmutzigen Fußes in Wallung, weil er sich unwillkürlich vorstellte, was sonst noch unter dem Rock des Mädchens zu finden sein mochte.
Kopfschüttelnd ging er über diesen unerwarteten Hormonschub hinweg und stellte den leeren Alebecher auf den Boden. Er hatte Geld in der Tasche, neue Kleider am Leib, war satt und zufrieden und demzufolge bei bester Laune, aber er würde sich nicht mit dieser Frau einlassen, die vermutlich alle nur erdenklichen Krankheitskeime in sich trug. Wenn Robs Männer da weniger wählerisch waren, war das ihre Sache.
Murchadh stand ihm ja als warnendes Beispiel vor Augen, denn inzwischen wusste er, dass der schwarzhaarige Hüne seine Nase durch die »französische Krankheit< eingebüßt hatte, was, wie er vermutete, ein anderer Ausdruck für Syphilis war. Murchadh befand sich in dem Krankheitsstadium, in dem sich überall an seinem Körper eitrige Pusteln bildeten. Jeder wusste, dass er irgendwann den Ver-stand verlieren und sterben würde. In diesem Jahrhundert, wo die Entdeckung der Antibiotika noch in weiter Ferne lag, verlief die Syphilis stets tödlich; sie war ebenso wenig heilbar wie Aids in seiner eigenen Zeit.
Abgesehen von all diesen Bedenken hinderte ihn nicht zuletzt der Gedanke an Cait daran, von dem Angebot der Hure Gebrauch zu machen. Auch wenn sein Körper auf die Frau reagierte - sie war unsauber, sie war nicht Cait, und er würde seine Liebe zu Cait nicht dadurch besudeln, dass er sich mit ihr einließ.
Die Hure, die noch jung und gar nicht hässlich war, hob erneut ihre Röcke und kam auf ihn zu, ließ sich zu seinen Füßen auf den Boden sinken und lehnte sich zwischen seine Knie. Ihr leuchtend rotes Haar hing ihr in wilden Locken um das Gesicht. In seiner Heimat hatte er oft Fotos von Supermodeis und Filmsternchen mit solch kunstvoll zerzausten Frisuren gesehen, aber in diesem Land und in dieser Zeit bedeuteten unordentliche Haare nur, dass die Trägerin ungepflegt und schlampig war. Die Hure gurrte lockend: »Nun komm schon, Großer. Zeig, dass du ein ganzer Kerl bist.«
Dylan streckte das rechte Bein aus, er war froh, dass sein feileadh mór in reichen Falten über seinen Unterleib fiel und seine sichtbare Reaktion auf das Mädchen verbarg. Er blickte zu den anderen Männern hinüber, die gespannt auf seine Antwort warteten. Die meisten wussten über Cait Bescheid, nahmen aber wohl an, er werde sie nie wieder sehen. Er wusste auch, dass sie damit rechneten, er würde mit dem Mädchen über die Mauer klettern, um sich eine Weile mit ihr zu vergnügen.
Wieder schüttelte er den Kopf. »Danke, kein Bedarf.« Da er seit seiner Abreise aus der Burg kein Taschentuch mehr gesehen hatte, wischte er sich den letzten Rest Hammelfett mit dem Handrücken von den Mundwinkeln und wünschte, die Frau würde endlich verschwinden. Sein Verstand sagte ihm, dass er nicht mit ihr gehen sollte, aber sein Körper war da anderer Meinung. Er war von Minute zu Minute dankbarer für die Falten seines Kilts.
Einer der Männer spottete: »Er wartet wohl auf das nächste Treffen im Beggar's Benison.« Unterdrücktes Gelächter wurde laut, und Dylan biss sich auf die Lippe. Er wusste über den Beggar's Benison nur, dass es sich dabei um einen elitären Sexclub in Edinburgh handelte, wo wohlhabende Männer sich trafen, um gemeinsam zu masturbieren. Tatsächlich verschafften sich wohl auch die meisten seiner Kameraden gelegentlich Erleichterung, wenn sie ungestört waren, aber keiner wollte es zugeben. Das war ein Teil der menschlichen Natur, der sich nie ändern würde.
»Nein, ich glaube, er braucht das hier.« Seamus warf ihm etwas Weiches zu, das Dylan mit einem leisen Klatschen im Gesicht traf. Er zupfte sich das Ding von der Wange und stellte fest, dass es sich um ein aus Schafsdarm hergestelltes Kondom handelte. »Ich hab's nur einmal
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