Vogelfrei
reagierte blitzschnell und durchtrennte dem Pferd mit einem mächtigen Hieb die Sehnen. Das Tier brach zusammen, sein Reiter sprang aus dem Sattel und griff Dylan zu Fuß an. Dylan, der versuchte zurückzuweichen, hätte den Schlag beinahe nicht mehr rechtzeitig pariert. Um ihn herum waren nur noch wenige Jakobiten zu sehen, also musste er unbedingt zu seiner Einheit zurück. Er spürte, dass seine Kräfte nachließen und er an Boden verlor; der Soldat drang erbarmungslos auf ihn ein. Das Klirren der Schwerter ging im allgemeinen Kampflärm unter, Dylan parierte verzweifelt Hieb um Hieb, konnte jedoch nicht verhindern, dass sein Gegner ihn immer weiter zurückdrängte. Schließlich stand er Rücken an Rücken mit anderen Männern, wie ein in die Enge getriebenes Tier, und in dieser Situation unterlief ihm ein folgenschwerer Fehler. Er parierte eine Finte, und der Engländer stieß ihm seine Klinge tief in den Leib.
Einen nicht enden wollenden Moment lang starrte Dylan das Heft an, das aus seiner Magengegend ragte. Ein von seinem Körper losgelöster Teil seines Verstandes registrierte das eingravierte Gesicht auf dem kugelähnlichen Schwertgriff und identifizierte ihn als so genannten >Totengriff<. Der körperlose Kopf, den manche für den des hingerichteten Charles I. hielten, war mit seinem eigenen Blut bedeckt. Dann wurde die Waffe zurückgezogen, und der Dragoner, der sah, dass er den Gegner tödlich verwundet hatte, suchte sich das nächste Opfer. Er fand es in einem anderen MacGregor, der Dylan zu Hilfe kommen wollte.
Dylans Schwert fiel zu Boden, schwankend blieb er stehen, die rechte Hand gegen den Bauch gepresst, die linke um Brigids Griff gekrallt. »Nein«, stöhnte er. »Nein, ich kann doch noch nicht sterben.« Doch als er spürte, wie Blut aus der Wunde floss, die die Klinge beim Austreten verursacht hatte, ihm über den Rücken rann und sein Hemd durchweichte, da wurde ihm klar, dass er, wenn er nicht heute schon an dem immensen Blutverlust starb, in wenigen Tagen elend an einer Infektion zu Grunde gehen würde. Aber aufgrund der Blutmenge, die zwischen seinen Fingern hervorquoll und vom Schoß seines Hemdes zu Boden tropfte, hielt er es für wahrscheinlich, dass in wenigen Minuten alles vorbei sein würde.
Er blickte auf und sah Sinann, die sprachlos, mit weit aufgerissenen Augen über ihm schwebte. »Es tut mir Leid«, flüsterte er. »Ich konnte nichts ausrichten, überhaupt nichts.« Er taumelte, hielt sich aber unter Aufbietung all seiner Kraft auf den Beinen. Die Welt begann sich um ihn zu drehen. »Nein«, murmelte er wieder. »Nein ... nein ...«
Aus weiter Ferne drang Sinanns Stimme an sein Ohr. Schluchzend stammelte sie: »A Dhilein ... jetzt musst du nach Hause zurückkehren.«
Dylan meinte, in ein tiefes schwarzes Loch zu fallen. Er wusste, dass seine Zeit auf dieser Welt zu Ende ging, und er fragte sich, ob er tatsächlich das helle Licht am Ende eines Tunnels sehen würde, von dem er so oft gehört hatte. Ein sengender Schmerz schoss durch seinen Körper, vage wunderte er sich, wie er Schmerzen empfinden konnte, wenn er doch tot war. Dann sah er das Licht. Eine gleißende Helligkeit hüllte ihn ein, verwandelte sich in ein Farbenmeer. Danach formten sich die Farben zu Gesichtern, bekannten Gesichtern, die er jedoch nicht zuordnen konnte. »Chan eil«, keuchte er, immer noch nicht bereit, den Tod zu akzeptieren. »Chan eil, chan eil...« Nein, nein, nein.
Heiß. Es war furchtbar heiß.
Jemand schrie. Dann brach er im Gras zusammen. Weitere Schreie. Jemand brüllte, man müsse sofort einen Notarzt rufen. Ein anderer schrie, er habe einen Feuerwehrwagen auf dem Parkplatz gesehen. Dylan spürte, wie er hochgehoben wurde. Wieder verschwamm die Welt um ihn, und jetzt wusste er, dass er starb.
23.
Das Erste, was Dylan wahrnahm, als er das Bewusstsein wiedererlangte, war der durchdringende Geruch nach Desinfektionsmitteln und Plastik. Dann Schmerz, einen glühend heißen Schmerz. Er hatte das Gefühl, seine Eingeweide würden zu Atomen zerfallen, sobald er sich bewegte. Aber er war nicht tot. Und nachdem er eine Weile darüber nachgedacht hatte, fand er, dass er sich glücklich schätzen durfte. Mit einem erstickten Grunzen versuchte er, sich das Plastikding vom Gesicht zu schieben. Augenblicklich tauchte eine Krankenschwester an seinem Bett auf und entfernte es für ihn.
»Mr. Matheson, wie fühlen Sie sich?« Mister? Wie lange war es her, seit man ihn zum letzten Mal mit >Mister<
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