Vogelfrei
wir?«
Seine Mutter kicherte nervös. »2000.«
»Den dreißigsten September?«
Sie blickte auf ihre Uhr. »Ein paar Minuten noch. Es ist kurz vor Mitternacht.«
Dylan blickte Cody an. Sinann hatte ihn fast auf den Moment genau, nachdem er das Schwert berührt hatte, in seine eigene Zeit zurückgeschickt. Niemand hatte gemerkt, dass er überhaupt fort gewesen war; erschöpft schloss er die Augen.
Von der Tür her erklang die Stimme seines Vaters. Er mahnte seine Mutter leise: »Wir sollten jetzt gehen, Barri.« Natürlich, Dad hatte es tunlichst vermieden, einen Fuß in dieses Zimmer zu setzen. Dylan hielt die Augen geschlossen, als seine Mutter ihn auf die Wange küsste und flüsterte: »Ich komme morgen wieder. Du brauchst jetzt Ruhe.« Er nickte nur, ohne etwas zu sagen.
Cody stand immer noch vor seinem Bett und drehte ihr zerschlissenes Taschentuch in den Händen. »Du hast uns einen furchtbaren Schrecken eingejagt, Dylan.« Sie sah aus, als hätte sie geweint und würde bei dem geringsten Anlass erneut in Tränen ausbrechen.
»Wie geht es dir, Cody?« Für sie waren nur wenige Stunden verstrichen, für ihn dagegen zwei Jahre.
Sie bedachte ihn mit einem verwirrten Lächeln, ehe sie sich zu ihm aufs Bett setzte. »Dylan, wie in aller Welt hast du es fertig gebracht, dich noch so lange auf den Beinen zu halten?«
Er runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
»Nachdem er zugestochen hat. Du bist zu dem Schwert hinübergegangen und hast es aufgehoben, und niemand hat überhaupt gemerkt, dass du blutest. Du sagtest, du würdest dich irgendwie komisch fühlen oder so was Ähnliches, und auf einmal bist du blutüberströmt zusammengebrochen. Ich habe noch nie so viel Blut gesehen. Es ist einfach ... aus dir herausgesprudelt.« Als Dylan das Gesicht verzog, entschuldigte sie sich hastig: »Tut mir Leid. Na ja, jedenfalls warst du sofort von einem Haufen Leute umringt, und ich konnte nicht sehen, was sie mit dir machten. Du hast was von Aal in Dosen gebrabbelt, deswegen dachten die meisten zuerst, du hättest was Schlechtes gegessen. Doch dann haben sie das Blut gesehen. Die Feuerwehrleute brachten dich dann mit Blaulicht und Sirene ins Krankenhaus. Und ich sitze im Wartezimmer, seit du eingeliefert worden bist. Raymond dreht bestimmt schon durch.«
Raymond ... ach ja, der mit dem Polyesterhaar. Dylan nickte. Er erinnerte sich gut.
»Jedenfalls sind wir alle heilfroh, dass du noch lebst. Dieser Typ gehört hinter Gitter, wenn du mich fragst.«
»Welcher Typ?«
»Na, dieser Bedford.«
Dylan brach der kalte Schweiß aus, doch dann begriff er, dass sie den Yankee meinte, der das Schwert geerbt hatte. »Er hat mir nichts getan.«
Das brachte sie einen Moment lang zum Schweigen, dann sagte sie: »O doch, das hat er.«
»Nein. Es war nicht seine Schuld.«
»Er hat zugestochen. Er hätte dich beinahe umgebracht, obwohl das nur ein Schaukampf sein sollte.«
»Nein. Er hat mir gar nichts getan. Er hat mich überhaupt nicht getroffen.«
»Aber ...«
»Cody, lass es gut sein!« Als sie ihn erschrocken ansah, dämpfte er seine Stimme. »Was auch immer da geschehen ist, geht nur uns beide etwas an und niemanden sonst. Hast du mich verstanden?«
Sie überlegte einen Moment, dann nickte sie und lächelte ihn schelmisch an. »Kann es sein, dass dir die Spiele die Sinne vernebelt haben?«
Dylan seufzte. Es gab so viel, was sie von ihm nicht wusste.
»Na schön«, meinte sie dann, »vielleicht sollte ich jetzt besser gehen. Raymond wartet. Wir sehen uns morgen wieder, einverstanden?« Sie umarmte ihn, und er legte ihr einen Arm um die Taille. Doch als ihre Hand unter sein am Rücken offenes Krankenhaushemd glitt, schnappte sie vor Schreck nach Luft.
Dylan ließ sich in die Kissen sinken, wobei er auf Gälisch seine eigene Dummheit verwünschte.
»Dylan! Was ist denn bloß mit deinem Rücken passiert?« Sie wollte ihm das Hemd von der Schulter streifen, doch er wehrte unwillig ab. Ihre Stimme wurde scharf. »Dylan, lass mich bitte einmal sehen!«
Am liebsten hätte er ihr gesagt, sie solle verschwinden und ihn in Ruhe lassen, aber nach kurzer Überlegung gelangte er zu dem Schluss, dass sie die beste und loyalste Freundin war, die er in diesem Jahrhundert hatte. Warum sollte er sie nicht einen Blick auf seinen Rücken werfen lassen? Also rollte er sich auf die Seite, damit sie das Hemd ein Stück zur Seite ziehen konnte.
Er hörte, wie sie scharf die Luft einsog, dann sagte sie leise: »Das sind Narben. Alte Narben. So
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