Vogelfrei
angeredet hatte? Es hörte sich irgendwie ... fremd an. Er blickte die Krankenschwester an. Sie war hübsch, hatte dunkle Haare und trug einen leuchtend violetten Kittel. Die Farbe war so grell, dass er die Augen zusammenkneifen musste. Alles war so hell und bunt, als ob Gott irgendwann im zwanzigsten Jahrhundert die ganze Welt mit Wasserfarben verschönert hätte. »Mr. Matheson?« Die Schwester wartete immer noch auf seine Antwort.
Er erwiderte: »Ich bin nicht tot« und stellte fest, dass sein Hals schmerzte und seine Stimme nur noch ein fast unhörbares Krächzen war.
Sie lächelte, als hätte er einen Witz gemacht. »Nein, Sie sind nicht tot. Wir mussten Ihnen die Milz und eine Niere entfernen, aber Sie werden wieder gesund werden. Und wem Ihre andere Niere gesund bleibt, werden Sie noch nicht einmal Folgeschäden davontragen. Ich gebe Ihnen jetzt etwas gegen die Schmerzen, und dann verlegen wir Sie in ein anderes Zimmer.« Sie drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. »Und Sie bleiben inzwischen schön hier liegen.« Kichernd verließ sie den Raum und überließ ihn seinen Gedanken.
Er versuchte sich aufzurichten, aber da auf seinem Bett keine Kissen lagen, gegen die er sich hätte lehnen können, gab er schließlich auf, legte sich zurück und wartete darauf, dass er verlegt wurde. Die hübsche Schwester kam mit einer Spritze zurück und gab ihm eine Injektion in die Hüfte. Dylan legte keinen sonderlichen Wert auf Schmerzmittel. Er hatte in der letzten Zeit viel schlimmere Schmerzen ertragen müssen, und er störte sich viel mehr an dem Katheter in seinem Penis als an den Wundschmerzen nach der Operation.
Die Schwester rollte ihn in ein Privatzimmer, daraus schloss er, dass seine Mutter wusste, wo er war, und einige Hebel in Bewegung gesetzt hatte. Auch als er noch ein Teil dieses Jahrhunderts gewesen war, wäre seine Krankenversicherung nicht für ein Zimmer auf der Privatstation aufgekommen. Er fragte sich, wie lange er bewusstlos gewesen war. Zwei Jahre lang? Hatte er überhaupt noch ein Leben, in das er zurückkehren konnte? Er blickte sich verwirrt um. Der Fernseher lief, aber ohne Ton, und einen Moment lang starrte er den Bildschirm wie gebannt an. Er empfand die schnelle Abfolge von Bildern als unangenehm, beschloss, dass er keinen Grund hatte, die ganze Welt in seinem Zimmer zu dulden, griff nach der Fernbedienung und drückte auf den grünen Knopf. Der Bildschirm wurde grau, und ein wohltuender Friede überkam ihn.
Die Tür ging auf, und seine Mutter steckte den Kopf herein. »Dylan?«
»Mom!« Als sie näher kam, sah er deutlich, welche Angst sie um ihn ausgestanden haben musste und wie erleichtert sie war, dass er noch lebte. Ihr Gesicht war aschfahl, ihre Augen vom Weinen gerötet. Sie sah furchtbar aus, aber er war so froh, sie nach so langer Zeit wieder zu sehen, dass er darüber hinwegging. Für ihn war sie schön.
»Ich bin okay, Mom«, krächzte er. »Es tut noch nicht einmal weh.« Jedenfalls im Moment nicht. Was auch immer sie ihm verabreicht hatten, es wirkte schnell. Seine Mutter ergriff seine Hand. Ihm fiel auf, wie sauber er war. Irgendjemand hatte ihn gründlich gewaschen, während er weggetreten war, nur unter seinen Armen entdeckte er braunorangefarbene Flecken, die das Antiseptikum hinterlassen hatte. Er betastete sein Haar. Es war noch immer mit Schmutz, Schweiß und Blut verklebt, und als er es seiner Mutter zuliebe mit den Fingern durchkämmen wollte, gelang es ihm nicht, die Strähnen zu entwirren.
Mom setzte sich auf seine Bettkante und erklärte ihm, wie glücklich sie sei, dass er wieder gesund werden würde, doch er hörte gar nicht hin; er konzentrierte sich allein auf ihr Gesicht. Wie hatte er sie vermisst! Also hielt er nur ihre Hand, als wolle er sie nie wieder loslassen.
Wieder ging die Tür auf, und Cody kam herein. »Dylan?« Bei ihrem Anblick wurde Dylan erneut in eine andere Zeit katapultiert, denn sie trug immer noch das Kostüm aus dem 17. Jahrhundert, das sie am Tag der Highland Games angehabt hatte ...
»Mom, welches Jahr haben wir?«
Seine Mutter unterbrach ihren Redefluss - sie hatte gerade geklagt, dass er viel zu dünn sei, und aß er eigentlich jemals etwas Vernünftiges? - und lachte.
»Welches Jahr?«
Er musste tief Atem holen, um zu verhindern, dass seine Stimme zitterte. »Ja, ich hab's vergessen. Muss wohl am Schock liegen. Außerdem haben sie mir ziemlich harte Schmerzmittel verpasst.« Noch ein tiefer Atemzug. »Also, welches Jahr haben
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