Vogelfrei
vermutlich würde sie nie ein Wort mit ihm wechseln, wenn sie darauf wartete, dass er einmal nüchtern war.
»Es interessiert mich einen Scheißdreck, was Dylan gerne isst. Es geht darum, was ich gerne zum Nachtisch hätte!«
»Ich dachte, du magst Rhabarberpastete.«
Er holte aus, um ihr einen halbherzigen Schlag zu versetzen, doch sie wich mit dem Geschick, das jahrelange leidvolle Erfahrung mit sich bringt, zur Seite aus. »Ich kann das Zeug nicht ausstehen!«
»Hey!« Dylan sprang auf.
»Schon gut, Dylan.« Mom wirkte sichtlich verängstigt. Ihre Augen schwammen in Tränen.
Dad bedachte Dylan mit einem abfälligen Schnauben. »Halt du den Mund und iss! Es gibt ja deinen Lieblingsnachtisch!«
Dylan setzte sich wieder. Er musste an sich halten, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Lustlos stocherte er in seinem Teller herum, ihm war der Appetit vergangen. Er wollte nur noch hier raus.
Dad stand auf, um sich einen neuen Drink zu holen. Langsam schwankte er zum Sideboard am anderen Ende des Tisches, auf dem eine Karaffe stand. Dylan streckte den Arm aus und stieß sein Wasserglas um.
»Oh!« Mom sprang auf. »Ich hole einen Lappen.«
»Bringst du mir bitte auch noch etwas Wasser mit, Mom?« Er wollte sie lange genug aus dem Weg haben, um sein Vorhaben durchführen zu können. Als sie in die Küche eilte, nahm er sein Steakmesser in die Hand und erhob sich. So schnell und geräuschlos, wie er es in den Wäldern und Mooren gelernt hatte, als er vor den englischen Soldaten und Montroses Männern floh, schlich er zum Tischende, packte den alten Mann am Hemd, drehte den Stoff mit der Hand zusammen und stieß seinen Vater rücklings auf die Tischplatte.
Dad quollen die Augen aus den Höhlen, und er stammelte: »Was, zum Teufel, soll das?« Er wollte aufstehen, doch Dylan stieß ihn unsanft auf den Tisch zurück. Der Tafelaufsatz klirrte, die Kerze darin begann zu flackern. »Nimm sofort deine dreckigen Pfoten weg, sonst ...« Er verstummte, als er die Spitze des Messers unterhalb seines Herzens spürte.
Dylan beugte sich über ihn. »Hör mir gut zu«, befahl er mit leiser Stimme, in der nackte Mordlust mitschwang, »denn ich sage es nur ein einziges Mal. Du bist es nicht wert, den Namen Matheson zu tragen. Ein Mann, der Gewalt gegen Schwächere ausübt, ist kein Mann, sondern ein jämmerlicher Feigling.« Er drehte den Hemdstoff fester zusammen und zischte noch einmal auf Gälisch: »Tha thu gealtach!«
Er musste sich beeilen, seine Mutter konnte jeden Moment zurückkommen. »Du wirst meine Mutter ab heute anständig behandeln. Sie liebt dich, Gott weiß, warum, und nur das hält mich davon ab, dir das Messer ins Herz zu stoßen und der Sache ein für alle Mal ein Ende zu machen. Und das eine schwöre ich dir: Wenn du ihr nicht von heute an bis zu deinem seligen Ende ein guter Mann bist dann kommt dieses Ende früher, als du denkst.« Er verstärkte den Druck des Messers, um seinen Worten das nötige Gewicht zu verleihen. »Rühr sie nie wieder an, hast du mich verstanden? Nie wieder!«
Sein Vater nickte, und Dylan ließ ihn just in dem Moment los, als Mom zurückkam. Er klopfte seinem Vater das Hemd ab und erklärte beiläufig: »Dad ist gestolpert. Du solltest aufpassen, wo du hintrittst, Dad.«
Sein Vater war zu verstört, um etwas zu erwidern. Er ließ das Glas auf dem Sideboard stehen und ging wieder zu seinem Platz. Mom wischte das verschüttete Wasser auf und stellte Dylan ein frisches Glas hin; kurz darauf entschuldigte sich Dad und verließ den Raum.
Verblüfft sah Mom ihm nach. »Was hat er nur? Normalerweise trinkt er, bis er umfällt, und ich muss es ihm dann so bequem wie möglich machen.«
Dylan schluckte. »Vielleicht ändert er ja langsam seine Gewohnheiten.« Ein schwerer Kloß hatte sich in seinem Magen gebildet, denn er hatte soeben seinen eigenen Vater bedroht, und er würde ihn ohne mit der Wimper zu zucken umbringen, wenn er seine Mutter erneut schlug. Er beobachtete Mom beim Essen und fragte sich, was für ein Mensch aus ihm geworden war.
24.
Am nächsten Tag kehrte er in sein Apartment zurück. Ron-nie hatte seinen Jeep noch am Tag der Highland Games vom Moss-Wright-Park abgeholt und vor seiner Tür abgestellt, deswegen brachte ihn seine Mutter nach Hause. Er versprach ihr, am nächsten Abend zum Essen zu kommen, küsste sie auf die Wange und schloss dann die Glastür zu seinem Studio auf. Drinnen blieb er einen Moment lang wie angewurzelt stehen, während die Tür hinter ihm
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