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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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flehten ihn an, keinen Streit anzufangen, also lehnte sich Dylan in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und fragte sich, ob sein Vater schon zu betrunken war, um zu bemerken, dass die Stimmung bei Tisch umgeschlagen war.
    Mom tat ihr Bestes, um ein Gespräch in Gang zu bringen, obwohl weder Dylan noch sein Vater viel dazu beitrugen. Schließlich gab sie die unverfänglichen Themen Kirche und Fernsehprogramm auf und fragte: »Wie haben dir denn die Highland Games gefallen, Dylan? Abgesehen von dem unglücklichen Ende natürlich.«
    Dad kicherte humorlos, ein sicheres Zeichen, dass eine bösartige Bemerkung folgen würde. Und richtig, schon höhnte er: »Unser heldenhafter Sohn hat sich doch im Schwertkampf großartig bewährt. Nicht jeder lässt sich von einem hergelaufenen Yankee fast umbringen.«
    Dylan ging über die Spitze hinweg. »Die Spiele waren großartig. Ich habe ein tolles Schwert entdeckt, einen echten Zweihänder. Es hat bestimmt eine sehr ... interessante Geschichte.« Wenn er sie nur erzählen könnte!
    Mom hatte mit Sicherheit keine Ahnung, was ein Zweihänder war, sie wusste nur, dass es etwas Schottisches sein musste, wenn er sich so dafür begeisterte. Sie lächelte gezwungen. »Du weißt wirklich ungemein viel über die schottische Geschichte.«
    Er hüstelte, dann meinte er: »Mehr als die meisten Menschen, denke ich.«
    »Ich finde das einfach großartig.« Das stimmte wahrscheinlich sogar. Sie fand fast alles großartig, was er tat, und genau das liebte er so an ihr. »Heute Morgen habe ich in den Nachrichten gehört, dass Schottland die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich anstrebt.«
    Dylan lächelte. »Anstreben tun die Schotten ihre Unabhängigkeit schon seit tausend Jahren. Ich glaube aber nicht, dass es je so weit kommen wird, genauso wenig wie ich glaube, dass sich der Norden Amerikas noch einmal von den Südstaaten abspalten wird.«
    Mom seufzte. »Ja, all diese Kriege, die dort getobt haben, eine Schande. Vielleicht hätten sie einen anderen Weg wählen sollen, man hätte versuchen müssen, das System von innen her zu ändern.«
    Dylan schüttelte den Kopf. »Die Schotten sind ja nie in das System eingegliedert worden. England war früher noch keine Demokratie.«
    »Musste man deswegen denn gleich Kriege führen?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Wo wäre Amerika ohne die Revolution?«
    »Das ist etwas anderes. Die Amerikaner waren keine Engländer.«
    »Sie haben nur nicht in England gelebt, das tun die Schotten auch nicht. Und die Kultur der Hochlandschotten hat sich von der der Engländer noch stärker unterschieden als die der Amerikaner zu dieser Zeit. Natürlich mussten die Schotten für ihre Sache kämpfen, so wie die Amerikaner auch, aber das Problem ist, dass sie den Kampf verloren haben.«
    »Ach, hör doch auf«, mischte sich Dad ein. »Wen interessiert schon Schottland? Männer, die Röcke tragen, dass ich nicht lache! Alles verkappte Schwule, wenn du mich fragst.«
    Dylan verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Augen wurden schmal vor Ärger. »Nur zu deiner Information, Dad - die Highlandschotten in ihren Kilts zählen zu den tapfersten Soldaten der Welt.« Er spürte, wie sich der schottische Akzent, den er sich angewöhnt hatte, wieder in seine Stimme schlich, achtete aber nicht darauf. »Die Feinde haben sie wegen ihrer Tapferkeit und Angriffslust gefürchtet wie den Leibhaftigen persönlich. Sie werden nicht umsonst >Laddies from Hell< genannt. Hättest du jemals mit ihnen zu tun gehabt, würdest du sie nicht als verkappte Schwule bezeichnen. Aber etwas anderes habe ich von einem Ignoranten wie dir auch gar nicht erwartet.«
    Dad stotterte etwas, dann machte er Anstalten, aufzuspringen. »Du kleiner Scheißkerl...«
    »Sei lieber vorsichtig, Dad.«
    »Schluss jetzt! Alle beide!« Panik schwang in Moms Stimme mit. Sie hielt den Blick unverwandt auf ihren Teller gerichtet. Dylan funkelte seinen Vater drohend an, bis der ältere Mann sich wieder setzte und sein Glas in einem Zug leerte. Eine Weile herrschte Schweigen, dann meinte Mom mit einem zittrigen Lächeln: »Esst auf, Männer. Ich habe Rhabarberpastete zum Nachtisch gemacht.«
    Das Glas wurde so heftig auf den Tisch geknallt, dass die Eiswürfel klirrten. »Was Besseres ist dir wohl nicht eingefallen, was? Rhabarberpastete! Immer dasselbe!«
    »Dylan isst sie gerne.« Sie hätte wissen müssen, dass man mit ihrem Mann nicht reden konnte, wenn er in dieser Verfassung war. Aber

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