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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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einverstanden.«
    Auch Malcolm nickte, dann sagte er: »Heute wird wegen Alasdairs Beerdigung nicht gearbeitet, außerdem ist Sonntag. Aber morgen früh fängst du auf den Feldern an.« Er griff in seine Tasche, holte einen länglichen Gegenstand heraus und schob ihn über den Tisch in Dylans Richtung. »Und hier, nimm das. Ich leihe es dir, ich möchte dich nämlich nicht eines Tages mit durchgeschnittener Kehle im Dreck finden.« Er zog die Hand weg: Ein kleines Messer in einer Stahlscheide kam zum Vorschein. »Dieser sgian dubh hat mir schon mehr als einmal das Leben gerettet.«
    »Hier?« Dylan sah ihn verwirrt an, nahm aber das Messer an sich und schob es in seine rechte Gamasche.
    Wieder musste Malcolm lachen. »Nein, nicht hier. Ich bin hier geboren, du nicht. Einige von uns werden dich sicherlich als Clanmitglied akzeptieren und dich mit offenen Armen aufnehmen, andere werden dich von vornherein ablehnen. Und dann gibt es noch einige, die dich zwar als ihren Verwandten bezeichnen werden, dich aber trotzdem gerne tot sehen würden - oder gerade deshalb. Also sei auf der Hut.«
    Dylan hörte nur mit halbem Ohr zu. Gerne hätte er Sinann weiter bestürmt, ihn von diesem Ort fortzubringen, hielt es aber in Malcolms Gegenwart für angezeigt, den Mund zu halten. Nervös nestelte er an dem Dolch in seiner Gamasche herum und hoffte, dass er ihn nie würde benutzen müssen.
    Das später am Tag stattfindende Begräbnis erweckte zwiespältige Gefühle in ihm. Da er Alasdair nicht gekannt hatte, empfand er seinen Tod nicht als Verlust, aber er war mitfühlend genug, um den Schmerz der Familie und der Freunde des Mannes zu teilen. Viele der Frauen jammerten denn auch so herzerweichend, als sei jede von ihnen die Witwe des Verstorbenen, wohingegen Sarah nur leise in ihr Taschentuch schluchzte. Alasdairs Leichnam wurde auf einer Bahre von der Burg zu seiner letzten Ruhestätte getragen. Der Leichenzug überquerte die schmale Zugbrücke und bewegte sich dann auf die kleine Ansammlung von Hütten unten im Tal zu. Schwermütige Dudelsackmusik erfüllte die Luft und wider Willen fühlte Dylan sich davon seltsam gerührt.
    Er nutzte die Gelegenheit, sich ein Bild von seiner Umgebung zu machen. Die Burg nahm den größten Teil der kleinen Insel ein, auf der sie lag. Die Mauer, die er heute Morgen von der Brustwehr aus gesehen hatte, musste einst am Ufer des Sees entlanggeführt haben. Inzwischen war sie fast vollständig zerfallen; das Wasser plätscherte leise gegen die mittelalterlichen Gesteinsreste, trotzdem nahm Dylan an, dass auch heute noch kaum ein feindliches Boot ohne größere Schwierigkeiten dort anlegen konnte. Auch der Wall, der den äußeren Burghof umgab, war im Laufe der Jahre stark baufällig geworden.
    Der See lag am Ende eines von Ost nach West verlaufenden Tales. Im Norden stieg das Land zu einer niedrigen, bewaldeten Hügellandschaft an, hinter der sich die schroffen Gipfel hoher Berge erhoben. Hinter einem der Hügel entsprang ein kleiner Fluss und schlängelte sich zwischen niedrigen Mauern hindurch der Länge nach durch das Tal bis hin zum See. Die Waldstücke lagen fast ausschließlich auf den Hügeln und zwischen den höheren Bergen; das Grün der Blätter war bereits dem herbstlichen Gelb und Braun gewichen. Die Gegend im Süden wurde vornehmlich von spärlich bewachsenen Felshängen beherrscht, auf denen nur Buschwerk und hier und da ein kleiner, verkrüppelt wirkender Baum gediehen.
    Das Dorf Ciorram setzte sich aus einigen wenigen unweit der Zugbrücke errichteten Katen zusammen. Eine war aus Torf erbaut und ganz von Moos und Gräsern überwuchert, die anderen bestanden aus grauem Stein. Alle waren sie jedoch mit Stroh gedeckt. Entlang einer Steinmauer reihten sich merkwürdige Erhebungen, die Dylan für Heumieten hielt. Bei näherer Betrachtung stellte er fest, dass sie mit Stroh abgedeckt waren. Seltsame Heumieten. Was, zum Teufel, konnte das sein?
    Schmale Felder zogen sich durch das Tal und an den sanft geneigten Hügeln im Norden empor, so hoch das Land noch eben bearbeitet werden konnte. Einige lagen brach, auf anderen standen windschiefe Garben, die aus der Entfernung wie winzige indianische Tipis aussahen. Nur auf den talwärts gelegenen Feldern stand noch sanft im Wind wehendes Korn und wartete darauf, eingebracht zu werden. Am Fuß des Hügels drängten sich noch weitere Häuser, und von überall her kamen Menschen herbeigeeilt, um sich der Prozession anzuschließen. Die Frauen scharten

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