Vogelfrei
heillose Verschwendung, gute Kleider nutzlos herumliegen zu lassen, wenn es jemanden gibt, dem sie gute Dienste leisten können. Also nimm sie.« Sie kam auf ihn zu, drückte ihm das Bündel in den Arm, dann wandte sie sich ab, raffte ihre Röcke und eilte die Stufen hinunter.
Das Bündel drohte Dylan zu entgleiten, und eine Lederschlaufe löste sich daraus und fiel zu Boden. Dylan setzte sich auf die Treppe, um die Geschenke zu begutachten. Das Bündel enthielt ein paar zusammengenähte Schaffelle, Ledergurte und eine große, aus irgendeinem Pelz gefertigte Tasche.
»Das ist Seehundfell. Ein sporran aus Seehundfell kostet ein Vermögen«, sagte Sinann beinahe ehrfürchtig. »Niemand hätte von ihr verlangt, dir diese Tasche zu schenken; sie hätte sie verkaufen können. Hätte sie verkaufen sollen, wenn du mich fragst. Sieht fast so aus, als hätte sie Gefallen an dir gefunden.«
Dylan schnaubte. »Sie ist erst seit einem Tag Witwe.«
»Aber sie ist auch eine praktisch und nüchtern denkende Frau. Sicherlich betrauert sie ihren Mann aufrichtig, und wenn du dich ihr zu früh nähern würdest, würde sie dich erst einmal zurückweisen. Aber sie schmiedet schon Pläne für die Zukunft. Denk an meine Worte.«
Bei Sinanns Worten wurde Dylan das Herz schwer. »Die Zukunft, ach ja?« Er hielt eines der Schaffelle hoch. Es war zu einer Art Schlauch zusammengenäht: Leder nach außen, Wolle nach innen.
»Gamaschen«, erklärte Sinann. »Du musst sie mit den Lederriemen festschnallen.«
Dylan tat, wie ihm geheißen, und unterdrückte ein Schaudern, als er die Kleider eines toten Mannes anlegte. Doch das Leder und die Wolle schützten seine Beine vom Knöchel bis zum Knie vor der Kälte, und er fand, dass die seltsamen Dinger angenehm zu tragen waren, fast so gut wie Jeans. Er befestigte die schwarze Felltasche an seinem Gürtel und stand auf.
»Diese Brosche da brauchst du nun wirklich nicht. Du trägst dein Plaid viel zu eng am Körper, es wundert mich, dass du überhaupt noch Luft bekommst.«
»Wie meinst du das?«
»Du hast dich so fest darin eingewickelt wie in ein Leichentuch. So macht man das ...« Sie erhob sich in die Luft und löste mit einer flinken Handbewegung die Brosche von dem Wollstoff.
»He, lass das!« Dylan holte aus, um nach ihr zu greifen, doch sie entwischte ihm, bekam das Plaid zu fassen und zog daran, bis es ihm locker über die Schulter fiel. »He! Schluss damit! Siehst du, was du angerichtet hast?« Der Zipfel des Plaids reichte ihm jetzt bis zu den Zehen.
»Jetzt ziehst du es ein Stück über den Rücken ...« Sinann schwirrte um ihn herum und zupfte das Tuch zurecht. Dylan ließ sie widerwillig gewähren und beobachtete sie dabei verärgert. »So, und nun steckst du das Ende in deinen Gürtel.« Sie wollte sich schon wieder an ihm zu schaffen machen, doch er scheuchte sie weg und zog den Stoff selbst durch den Gürtel. Sie flatterte zurück und stemmte die Hände in die Hüften. »Na also, so sieht das gleich viel besser aus.«
»Aber so wird das Ganze runterrutschen.«
»Nicht, wenn du dich aufrecht hältst wie ein richtiger Mann. Und wenn es rutscht, dann ziehst du es eben wieder zurecht.« Sie drehte die Brosche zwischen den Fingern. »Ein lästiges Besitzstück weniger, auf das du ein Auge haben musst.« Sie tat so, als wolle sie die Brosche durch die Schießscharte werfen, doch Dylan riss sie ihr aus der Hand und ließ sie in seine Tasche gleiten.
»Danke für die Modetipps.« Er wandte sich ab und stieg die Stufen hinunter. Obwohl er sich wünschte, Sinann würde ihn augenblicklich nach Hause zurückschicken, fragte er sich zugleich, ob wohl sein Frühstück inzwischen kalt geworden war.
Indem er dem Widerhall der Stimmen nachging, fand er die Halle wieder, in der er letzte Nacht das Bewusstsein wiedererlangt hatte, und betrat sie durch die dem Kamin gegenüberliegende Tür. Der schwarze Bordercollie erhob sich bei seinem Anblick von seinem Platz am Feuer und trottete auf ihn zu. Dylan bückte sich, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, dann ging er in die Halle hinein. Sinann folgte ihm wie eine anhängliche Biene, und auch der Collie heftete sich an seine Fersen.
In dem Raum waren inzwischen lange Holztische nebst Bänken und Stühlen aufgestellt worden. Ein paar kleine Kinder spielten lautstark kreischend Fangen, während drei Frauen erfolglos versuchten, sie zur Ruhe zu bringen. Ein Mann war über dem Tisch zusammengesackt und schnarchte friedlich vor sich hin; ein paar
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