Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
Vom Netzwerk:
nicht verstand. Auch kleine Symbole waren in das Holz eingeschnitzt, und daneben prangte ein Datum: 1645. Dylan musterte es flüchtig, dann streifte er Schuhe und Gamaschen ab, verstaute alles zusammen mit seinem sporran am Fußende der Pritsche und streckte sich, in sein Plaid gewickelt, auf der Strohmatratze aus. Malcolms Messer behielt er in der Hand. Seufzend schloss er die Augen und versuchte, die beißende Kälte zu ignorieren.
    Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als er rüde geweckt und auf Englisch aufgefordert wurde, seinen faulen Arsch aus dem Bett zu bewegen und sein Frühstück zu essen, solange es noch warm war. Als er sich erheben wollte, stellte er fest, dass er bis auf die Knochen durchgefroren war. Sein ganzer Körper schmerzte, und es kostete ihn eine nahezu übermenschliche Anstrengung, sich aufzurichten. Am ganzen Leibe zitternd, machte er sich mit klammen Fingern daran, seinen Kilt so um sich zu drapieren, wie Sinann es ihm gezeigt hatte, und seinen Gürtel zu schließen. Sein Hemd trug er bereits seit drei Tagen; es klebte ihm auf der Haut, aber sich in dieser Eiseskälte zu waschen erschien ihm undenkbar, und er bezweifelte, dass er hier irgendwo ein heißes Bad nehmen konnte. Also musste er sich damit abfinden, genauso zu stinken wie alle anderen auch. Der Sprung von seiner Pritsche auf den mit Stroh ausgelegten Holzfußboden erforderte einigen Mut, und beinahe wäre er bei der Landung ausgerutscht und der Länge nach hingeschlagen. Stöhnend versuchte er, sein Zähneklappern zu unterdrücken, als er sich mangels Kamm mit den Fingern durchs Haar fuhr.
    In der großen Halle war es angenehm warm, und der heiße Haferbrei, der ihm zum Frühstück gereicht wurde, belebte ihn ein wenig. Nachdem er seine Schüssel geleert hatte, fühlte er sich wieder halbwegs wie ein Mensch, und auch das Zittern hatte aufgehört. Der Himmel färbte sich über den Gipfeln rötlich, als sich die Männer und Frauen aus der Burg auf den Weg zu einem kleinen, schmalen Feld machten, das am anderen Ende des Dorfes zwischen zwei Hügeln lag.
    Dylan lernte rasch, wie er eine Sichel handhaben musste. Das primitive Werkzeug mit der gebogenen Klinge erinnerte ihn an einen kleinen Krummsäbel, nur war diese Klinge mit Zähnen versehen und wurde statt gegen einen lebendigen, beweglichen Gegner gegen leblose Pflanzen eingesetzt. Bei dem zu erntenden Getreide handelte es sich um Hafer, den er und die anderen Männer mit Sicheln ummähten und auf dem Feld liegen ließen. Die Frauen und Kinder lasen die Ähren dann auf, banden sie zu Garben und schichteten diese zu großen Haufen auf. Danach wurden sie auf hölzerne, von kleinen, struppigen Pferden gezogene Karren verladen. Dylan verfolgte das Geschehen neugierig und stellte fest, dass das, was er zunächst für Heumieten gehalten hatte, in Wirklichkeit zum Trocknen aufgestapelte und zum Schutz gegen Regen mit Stroh abgedeckte Hafergarben waren.
    Aus dem Tonfall der sich leise unterhaltenden Männer entnahm er, dass diese mit ihrer Arbeit nicht sonderlich zufrieden waren. Sie hackten lustlos auf die Halme ein und schienen sich absichtlich ungeschickt anzustellen. Doch Dylan enthielt sich jeglicher Bemerkung und konzentrierte sich nur auf seine Arbeit. Es störte ihn nicht im Geringsten, dass diese Tätigkeit eigentlich unter seinem Niveau war. Ein Job war ein Job, und solange er gutes Geld verdiente, gedachte er jede Art von Arbeit zu verrichten, die ihm angeboten wurde; in seiner Lage konnte er es sich nicht leisten, wählerisch zu sein.
    Schon bald wünschte er sich, er hätte Gelegenheit gehabt, sich ein bisschen warm zu machen und seine Muskeln zu lockern, ehe er mit dieser eintönigen, kräftezehrenden Arbeit begann.
    Die Sonne stieg höher, und es wurde nahezu warm. Schweiß trat auf die Gesichter der Männer und durchtränkte ihre Hemden. Dylan wischte sich bald ebenso oft mit dem Ärmel über die Stirn, wie er die Sichel schwang. Die anderen banden sich irgendwelche Lappen um den Kopf, aber Dylan besaß nur das, was er am Leibe trug, und hatte keine Lust, sein einziges Hemd in Streifen zu reißen. Immer wieder machte eine Frau mit einem hölzernen Wassereimer die Runde und gab den Schnittern zu trinken.
    Ranald, der zurückgebliebene Junge, tobte bei den Kin-dem herum, die die Karren beluden, und quittierte alles, was er sah, mit entzücktem Gequietsche. Der Lärm, den er veranstaltete, zerrte an Dylans Nerven, und schließlich wünschte er sich nichts sehnlicher, als

Weitere Kostenlose Bücher