Vogelfrei
hatte. Es hing jetzt zusammen mit den Schwertern der anderen Männer neben dem Tor der großen Halle.
Plötzlich richteten sich wie auf Kommando alle Augen auf ihn, und jemand forderte ihn auf, die ganze Geschichte zu erzählen. Die Dorfbewohner und alle Angehörigen des Matheson-Clans rückten näher an ihn heran, spitzten die Ohren und sahen ihn erwartungsvoll an; anscheinend war es jetzt an ihm, etwas zur abendlichen Unterhaltung beizutragen.
Dylan schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich glaube nicht... ich kann doch nicht...« Ungeachtet seiner Proteste wuchtete sich Iain Mór von seinem Stuhl am Feuer hoch und verkündete, Dylan würde nun allen berichten, wie er das Leben der Frau und der Tochter des Lairds gerettet hatte; dann ließ er sich wieder auf seinen Platz sinken. Sein zufriedenes Lächeln besagte, dass er eine Weigerung Dylans für unmöglich hielt. Auch Caitrionagh lächelte, und Dylan meinte, leises Mitgefühl in ihrem Gesicht zu lesen.
Malcolm reichte ihm einen Krug Ale. »Erzähl es ruhig, es ist eine gute Geschichte.«
Dylan musste an Sinanns Worte über den Wert einer Geschichte denken. Er wusste, dass von seinen nächsten Worten sein Ruf und seine Stellung unter diesen Leuten abhing. Er konnte sich nicht drücken. Also trank er in großen Schlucken von seinem Ale, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, dann räusperte er sich und begann, auf Englisch von seinem Erlebnis zu berichten. Malcolm übersetzte den anderen seine Worte. Während er sprach, durchlebte Dylan im Geiste noch einmal jenen furchtbaren Morgen und spür-te, wie Angst und Ekel zurückkehrten. Seine Kehle schnürte sich zu, und er musste sich anstrengen, um zu verhindern, dass seine Stimme zitterte. Doch dann stellte er fest, dass er unbewusst die ganze Geschichte als ein grandioses Abenteuer darstellte, so, als sei es die einfachste Sache der Welt, einen mit einem Breitschwert bewaffneten Gegner mit einem kleinen Dolch zu besiegen. Die Kinder hörten mit großen Augen zu, Sarah beugte sich in dem Bemühen, jedes Wort zu verstehen, so weit vor, dass Dylan befürchtete, sie könne von ihrem Schemel fallen. Er erwähnte die Unmengen Blut, die geflossen waren, mit keinem Wort, sondern schloss seinen Bericht mit der Bemerkung ab, er habe den Mann schließlich niederstechen können. Weiter nichts.
Zustimmendes Gemurmel wurde laut, und Iain lobte ihn für seine Tapferkeit. Dylan rutschte unbehaglich auf seiner Bank hin und her, denn er legte keinen Wert darauf, als Held hingestellt zu werden, weil er einen Menschen umgebracht hatte, auch wenn dieser wegen eines furchtbaren Verbrechens zum Tode verurteilt gewesen war. Dann fuhr Iain fort: »Du hast meine Familie beschützt und dafür dein Leben gewagt, a Dhilein, und dich somit als mutiger Mann und echter Matheson erwiesen.« Er hielt einen Moment inne, wurde sichtlich nachdenklich und verkündete dann in dem gewichtigen Tonfall eines Mannes, der eine unumstößliche Entscheidung getroffen hatte: »Noch heute Abend wirst du in den Westturm der Burg umziehen und von nun an für die Sicherheit meiner Tochter verantwortlich sein.«
Einer der Zuhörer gab ein ersticktes Keuchen von sich. Dylan sah sich um, weil er annahm, dass es Sarah gewesen war, doch ihr Gesicht verriet nichts.
Iain sprach weiter. »Du hast bewiesen, dass du die Fähigkeiten dazu hast. Keinem anderen Mann würde ich lieber das anvertrauen, was mir auf dieser Welt das Kostbarste ist.« Artair knurrte ein einziges Wort, das Dylan nicht verstand, und flüsterte dann Coll etwas zu. Der sagte nichts darauf, sondern zog nur finster die dichten weißen Augenbrauen zusammen.
Dylan war zu verblüfft, um etwas zu erwidern, und wagte ohnehin nicht, sich seine Freude ob der Aussicht, sich jeden Tag - und jede Nacht - in Caitrionaghs Nähe aufhalten zu dürfen, zu offen anmerken zu lassen. Mühsam suchte er nach einer angemessenen Antwort.
Doch Caitrionagh sprang auf und sagte leise, aber vernehmlich auf Gälisch: »Vater! Nein!« Ihre Wangen leuchteten hochrot, und ihre Augen sprühten vor Zorn.
Die in der Halle versammelten Mathesons begannen wieder miteinander zu flüstern; sie wirkten deutlich überrascht. Anscheinend hatte jedermann angenommen, sie wäre hocherfreut, einen so mutigen und geschickten Kämpfer wie Dylan zum Leibwächter zu bekommen. Dylans Hoffnungen schwanden, aber er bemühte sich, eine unbeteiligte Miene zu wahren.
Iains Stimme klang hart, als er - wohl Dylan - zuliebe auf Englisch antwortete: »In diesem
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