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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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Dann blätterte er neugierig in dem Buch, ehe er es neben den Kerzenleuchter auf den Tisch legte und an einer der Kerzen schnupperte, um sich davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich aus Bienenwachs gezogen waren. Danach legte er Schwert und Tasche in die Truhe, schloss diese wieder und schob sie unter das Bett zurück.
    Erneut wanderte sein Blick zu der Holztür hinüber. Dort, im Nebenraum, war sie, ganz in seiner Nähe, und es gelang ihm einfach nicht, sie aus seinen Gedanken zu verbannen; zögernd erhob er sich, klopfte an die Tür und rief leise: »Caitrionagh!« Er erhielt keine Antwort. Nach einer Weile klopfte er noch einmal. »A Chaitrionagh!«
    Drinnen rührte sich immer noch nichts. Resigniert gab er auf, setzte sich wieder auf seine Pritsche, löste seine Gamaschen und ließ sie zu Boden gleiten, ehe er die Schuhe auszog. Den Kilt und das obere seiner Hemden hängte er an das Kopfbrett des Bettes, das andere Hemd behielt er an, streckte sich auf seinem Lager aus und zog die dunkle Wolldecke über sich. Die Matratze war dicker als die, auf der er bislang geschlafen hatte, und fast schon bequem zu nennen. Das warme Feuer, der lange Tag, das weiche Lager und nicht zuletzt die Mengen von Ale nach dem Essen zeigten Wirkung, die Augen fielen ihm zu, und kurz darauf schlief er ein.
    Als die Tür hinter ihm leise knarrte, war er augenblicklich wieder hellwach. Er blieb regungslos liegen und lauschte ins Dunkel, konnte aber nichts hören. Schließlich knarrte die Tür erneut, dann wurde der Riegel von innen vorgeschoben. Danach herrschte tiefe Stille.
    Dylan rollte sich zur Seite und beobachtete die tanzenden Schatten, die der Kerzenschein an die Wand malte. Eine Woge von Heimweh schlug über ihm zusammen, und einen Moment lang dachte er, sterben zu müssen, wenn er nicht bald in seine Heimat zurückkehren konnte, wo seine Familie und seine Freunde lebten, wo er die Regeln und Gesetze kannte und wusste, wo er hingehörte - und wo er sein ganzes Leben hätte verbringen können, ohne den Tod eines Menschen auf dem Gewissen zu haben.
    Seufzend blies er die Kerze aus.

8.
    Bei Tagesanbruch fand Dylan sich in der großen Halle ein, um sein Trainingsprogramm zu absolvieren, während die Dienstmägde der Burg das Frühstück vorbereiteten; doch die Arbeit am Herdfeuer ging nur langsam vonstatten, weil die Augen der Frauen mehr auf ihm als auf dem Haferbrei ruhten. Auch einige Kinder kamen neugierig näher, um ihm zuzusehen, bis er um ihrer Sicherheit willen kurz innehielt und sie wegscheuchte. Die Kinder wichen widerstrebend ein Stück zurück und schnatterten auf Gälisch miteinander.
    Sie dachten wohl, er würde sie nicht verstehen; nun, sie konnten ja nicht ahnen, dass sein Wortschatz inzwischen erheblich angewachsen war. Während er sich wieder seinen Übungen widmete, schnappte er ein paar Bemerkungen auf, die verrieten, dass sie ihn für geistesgestört hielten, weil er Bewegungen vollführte, die weder zu einem Tanz noch zu einem rituellen Zeremoniell gehörten. Als sein Programm eine Pause vorschrieb, in der er sein Schwert zu senken und seinen imaginären Gegner finster zu mustern hatte, rief er ihnen in seinem gebrochenen Gälisch zu: »Ich lernen für Kampf!« Das brachte sie zum Schweigen, und er konnte mit seinen Übungen fortfahren.
    Er konzentrierte sich darauf, sich an das Gewicht und die Ausbalancierung seines neuen Schwertes zu gewöhnen und es zu einem Teil seines Armes zu machen. Der vorige Besitzer war gestorben, weil er seine Waffe zu ungeschickt gehandhabt hatte. Dylan hatte nicht vor, denselben Fehler zu machen.
    Wie gewöhnlich tauchte Sinann plötzlich aus dem Nichts auf. »Du bist also schon in den Turm umgezogen, wie ich sehe.« Dylan ignorierte sie. Vorstoß, Ausfall, Vorstoß,
    Schritt zurück, Schritt zurück, Ausfall... Seine Schuhe verursachten schmatzende Geräusche auf dem Steinfußboden; Stroh und Binsen knirschten unter seinen Sohlen.
    »Jetzt wirst du dich nachts wohl heimlich davonstehlen müssen, wenn dir sonntags keine Zeit bleibt, dich in die Geheimnisse der weißen Magie einweihen zu lassen.«
    Abblocken, gerader Stoß, Abblocken, Vorstoß, Abblocken. »Kommt nicht infrage, Tink.«
    »Du musst es tun!«
    »Ich habe jetzt einen guten Job, und ich werde mich bestimmt nicht mir nichts, dir nichts nachts wegschleichen -schon gar nicht, um mich mit deiner Magie zu befassen.« Ein sarkastischer Tonfall schlich sich in seine Stimme und er verfiel in den lässigen Slang seiner

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