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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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betteln. Dylan grinste den Hund an. »O nein. Das ist meins.« Genüsslich biss er wieder in die süße Köstlichkeit. »Alles meins.« Schließlich brachte er es aber doch nicht übers Herz, das letzte Stück selber zu essen, und hielt es dem Hund hin. Siggy verschlang den Bissen, überzeugte sich mit einem Blick, dass nichts mehr da war, und streckte sich wieder zu Dylans Füßen aus. Dylan hätte selbst nichts gegen einen Nachschlag gehabt, begnügte sich aber damit, Caitrionagh bei der Arbeit zuzusehen.
    Da der Zweig der Mathesons, dem er jetzt angehörte, streng katholisch war, blieb Dylan keine andere Wahl, als an den Gottesdiensten teilzunehmen, die der Gemeindepriester abhielt, wenn er einmal im Monat - und nicht unbedingt sonntags - nach Ciorram kam. Obwohl ihm die Regeln des Katholizismus weit gehend fremd waren und seine Mutter als Ex-Hippie, Ex-Jesusfreak und als praktizierende Methodistin entsetzt gewesen wäre, besuchte er stets pflichtbewusst die Messe. Er sah dies als Gelegenheit an, mehr über Caitrionagh, ihr Leben und ihren Glauben zu erfahren. Da der Methodismus überdies erst in einem halben Jahrhundert ins Leben gerufen werden würde, lief er keine Gefahr, hier auf Anhänger dieser Glaubensrichtung zu stoßen. Er wusste, dass zu der Zeit, in der er jetzt lebte, in Schottland heftige Konflikte zwischen Presbyterianern, Episkopalisten und Katholiken schwelten, und er hatte nicht vor, sich da mit hineinziehen zu lassen.
    Schließlich ging er sogar so weit, eine feste Leinenkordel zu erstehen, an der er das Ebenholzkruzifix mit der silbernen Christusfigur befestigte, das er in der Truhe gefunden hatte. Mit der Zeit gewöhnte er sich so daran, dass er die Kette auch nachts nicht mehr ablegte.
    Seit er zu Caits Leibwächter ernannt worden war, verdiente er mehr als doppelt so viel wie früher, neun Pence pro Tag, und er bestand darauf, in Münzen bezahlt zu werden. Zu Weihnachten verteilte er einige Geschenke und empfing selbst auch welche. Von Iain erhielt er einen schön gearbeiteten Dolch mit einer dreieckig geschliffenen Klinge und einem ziselierten Silbergriff, den er in einer Stahlscheide unter seiner rechten Gamasche trug. Caitrionagh gab ihm ein neues Hemd aus gebleichtem Leinen, das sie eigenhändig kunstvoll bestickt hatte und das er nur sonntags zu tragen gedachte. Sarah schenkte ihm Schreibpapier und Tinte, was er vorerst in seiner Truhe verstaute, und hoffte, dass niemand ihn fragen würde, warum er nicht nach Hause schrieb. Er konnte ja schlecht antworten, dass er nicht wusste, an wen er die Briefe adressieren sollte. Außerdem gefiel ihm die Idee, mit Sarah Geschenke auszutauschen, nicht sonderlich.
    Da er nun etwas mehr als ein Pfund Sterling pro Monat verdiente und abgesehen von einem Penny wöchentlich für Seonag, die seine Wäsche wusch, und einen für Gracie, damit sie ihm jeden Abend einen Eimer heißes Wasser brachte, keine Ausgaben hatte, befanden sich Mitte Januar schon zwei englische Pfund und ein paar Shilling in Silbermünzen in seiner Truhe.
    Nach Neujahr verschlechterte sich das Wetter, und die Dunkelheit schien kein Ende nehmen zu wollen. Nun drang fast kein Lichtstrahl mehr durch die wenigen Fenster der Burg, so tief hingen die schweren grauen Wolken über dem Land. Kaum jemand wagte sich noch ins Freie, Erkältungskrankheiten waren an der Tagesordnung, und Dylan fiel auf, dass sich auch die Verpflegung änderte. Es gab nichts Frisches mehr, das Fleisch war entweder gesalzen oder geräuchert, der Haferbrei schmeckte muffig, und sogar das frisch gebackene Brot kam ihm hart und fade vor. Er begann, nach Wanzen Ausschau zu halten, fand aber nie eine und hoffte, dies bedeutete, dass es hier wirklich keine gab.
    Die späten Abende bildeten den einzigen Lichtblick dieser freudlosen Tage. Nach dem ceilidh - falls denn einer abgehalten wurde -, wenn in der Burg Ruhe herrschte und niemand mehr die Treppe des Westturms benutzte, legte er sich, nur mit seinem Hemd bekleidet, bäuchlings auf seine Pritsche, schlug seinen Gedichtband auf, stützte das Kinn auf die Matratze und tat so, als würde er lesen. In Wirklichkeit starrte er aber die Worte nur an, ohne sie richtig wahrzunehmen, weil er nur darauf wartete, dass sich die Tür zu der Kammer einen Spalt öffnete und Cait mit dem Rücken zu dem steinernen Eingang auf dem Boden Platz nahm, um sich mit ihm zu unterhalten. Er blieb während dieser Gespräche die ganze Zeit auf seinem Lager liegen, und sie öffnete die Tür stets

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