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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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tippte ihm mit dem Zweigrest leicht auf den Arm. »Ich habe gesagt, du sollst dir keine Gedanken machen. Ich möchte nur die neugierigen Blicke in eine andere Richtung lenken, das ist alles.«
    Wieder nickte Dylan. Er tat so, als würde er ihr glauben, aber er hatte gesehen, dass ihr das Blut in die Wangen gestiegen war, und das verriet ihm alles, was sie nicht laut zugeben wollte.
    Kurz nachdem Dylan seinen schwarzen Wollmantel und einen rostrot und schwarz gemusterten Kilt erhalten hatte, setzte eine eisige Kälte ein, und er war heilfroh über die wärmere Kleidung. Die Bewohner von Ciorram blieben nun in ihren Häusern und kamen nur zur Burg, wenn es unbedingt nötig war. Abgesehen von gelegentlichen Besuchen bei Marsaili, die sie immer noch mit Lebensmitteln versorgte, setzte auch Caitrionagh keinen Fuß vor die Tore der Burg.
    Während der Abwesenheit ihrer Mutter verbrachte sie ihre Tage damit, die Dienstboten zur Arbeit anzuhalten. Jeden Tag fand sie außerdem noch etwas Zeit für ihre Näharbeiten. Dylan hielt sich immer in ihrer Nähe auf, manchmal saß er in einem Stuhl vor der Kammer, in der die Frauen webten, spannen und nähten, manchmal auf den Stufen der Küchentreppe, die zu den Viehverschlägen unten im Burghof führten.
    Sigurd, der Collie, leistete ihm meistens Gesellschaft. Dylan brachte dem Hund bei, einen Hirschknochen zu ap-portieren, den er eines Morgens aus einem Suppentopf stibitzt hatte. Siggy, wie er ihn mittlerweile nannte, konnte von diesem Spielchen nie genug bekommen, und wenn Dylans Arm lahm wurde, ließ sich der Hund an seiner Seite nieder und nagte zufrieden an dem Knochen herum.
    Um die Weihnachtszeit herum fand Dylan, dass er mit seinem neuen Job das große Los gezogen hatte, er durfte nämlich von allen Gerichten probieren, die für das Fest vorbereitet wurden. Caitrionagh machte es anscheinend Spaß, ihn zu mästen, und er holte einiges von dem Gewicht, das er im Herbst verloren hatte, wieder auf. Nur eines vermisste er: Seit seiner Ankunft in Schottland hatte er nichts Süßes mehr zwischen die Zähne bekommen. Er nahm an, dass das Zuckerrohr, mit dem die südlichen Kolonien Amerikas regen Handel trieben, noch nicht den Weg bis hierher gefunden hatte. Zum Glück war die schlimmste Gier nach Süßem inzwischen verflogen.
    An einem frostigen Dezembertag saß Dylan wieder auf der Küchentreppe. Siggy hatte sich zu seinen Füßen ausge-streckt; Cait überwachte die Küchenmägde. Ihre Arme waren bis zum Ellbogen mit Hafermehl bestäubt, da sie nicht nur darauf achtete, dass die Arbeit zügig vonstatten ging, sondern auch oft genug selbst mit Hand anlegte. Dylan beobachtete sie. Sie glich ihrem Vater: dazu geboren, Anweisungen zu geben, keinen Widerspruch duldend. Aber sie hatte dabei eine freundliche Art, mit den Leuten umzugehen, die Iain Mór fehlte. Dylan verfolgte jede ihrer Bewegungen voller Bewunderung.
    Nach einer Weile brachte sie ihm ein Bannock, das mit einer Art rosafarbenem Hüttenkäse bestrichen war.
    Dylan betrachtete es zweifelnd. »Was ist das denn?«
    Sie lächelte. »Hast du noch nie crannachan gegessen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Da, wo ich herkomme, schmiert man sich Erdnussbutter oder Erdbeermarmelade aufs Brot.« Zwar wusste er nicht genau, ob Erdnussbutter überhaupt schon erfunden war, nahm aber an, dass eine kleine Entgleisung nicht auffallen würde.
    Er irrte sich, denn Caitrionagh runzelte die Stirn. »Butter aus Erde und Nüssen? Das soll schmecken?« Sie zuckte mit den Achseln. »Probier mal dies hier.«
    Dylan biss in das Bannock und verdrehte verzückt die Augen. Seine alte Vorliebe für Süßes erwachte schlagartig wieder zum Leben. »Himmel, das Zeug ist ja großartig!« Crannachan bestand anscheinend aus dick geschlagener, mit geröstetem Hafermehl und eingekochten Himbeeren vermischter Schlagsahne auf einem dick mit Butter bestrichenen Haferkuchen - absolut das Beste, was er seit seiner Ankunft hier gegessen hatte! Cait lächelte zufrieden, wischte sich Hafermehl von den Händen und widmete sich wieder ihrer Arbeit. Dylan sah ihr nach. Der sanfte Schwung ihrer Hüften unter dem wollenen Überkleid lenkte ihn vorübergehend von seinem Leckerbissen ab. Sie drehte sich um, und ihr Lächeln wurde breiter, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. Das brachte ihn wieder zu sich. Er schluckte runter, was er im Mund hatte, und biss erneut in sein Bannock.
    Siggy, der ihn nicht aus den Augen gelassen hatte, be-gann zu winseln und um seinen Anteil zu

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