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Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen

Titel: Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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hätte meine Gegenwart ihn vor bösen Drogen bewahrt. Viele Vielleichts zirkulierten wilde Gedankenkreise in mir. Das Leben war doch eine Halde von Optionen, und es gab immer Menschen, die sich für die falschen entschieden. Schmidt war wichtig, wichtig für mein Erwachsenwerden, wichtig für die Bildung einer Vorstellung des Wortes Freiheit und vor allem auch wichtig für das Erkennen, dass ich viel unterlassen würde in diesem Leben, was mich zu einem derartigen Ende führen würde.
    Als ich die Schmidt-Epoche zu Ende gedacht hatte, wurde mir noch kurz bewusst, wie grundlegend gut dieses Erleben war, aber wie wenig ich von den Erkenntnissen meiner Jugend in die Jetztwelt übertragen konnte. Manchmal kam es mir wirklich so vor, als ob nichts, aber auch gar nichts von Bestand war, nicht ein Ding, was festzuhalten war. Aber die Sehnsucht nach dem Halten von Epochen oder Momenten verfolgte die Menschen, ich war auch in diesen Momenten auf diesem Balkon nur ein Opfer meiner Erinnerung, die mich heimsuchte und mir vor Augen führte, wie irgendwas mal war und was daraus hätte werden können. Wäre ich selbst abgestumpft, vielleicht hätte ich mit Schmidt eine erfreuliche Freundschaft zelebrieren können, eine, die aufrecht dasteht und einem täglich erzählt, wie unwichtig man doch selbst ist, und dass man gefälligst mal mit dem Reflektieren der Umgebung zugunsten einer Überdosis Leben aufhören sollte.
    Ich saß auf dem Balkon, es war Sonntag. Mittlerweile war auch Kai zurückgekommen und spielte eine zauberhafte Melodie, etwas Verträumtes, etwas, was man neben Tassengeklimper und dem Kaffeemaschinendurchlaufgeräusch gerne morgens hören würde, weil man dann weiß, dass da einer ist, der sich kümmert und dem das nicht zu viel wird. Und vielleicht schwingt da ein wenig Verlässlichkeit mit mit diesem Menschen. Morgen, so entschied ich mich spontan, würde ich dann nochmals zu Kai rübergehen, um ihn mit meinen Sehnsüchten zu konfrontieren, den Sehnsüchten nach Verlässlichkeit, nach Nähe, nach der Substanz, aus der eine haltbare Bindung wie Freundschaft bestehen sollte. Ich wollte ihm erzählen, was in mir vorging, was für mich die Vergänglichkeit bedeutete, und dass die damit verbundene Angst mich manchmal so hemmte, dass ich es kaum für lohnenswert erachtete, irgendwo aufzustehen, wo ich mal gefallen war. Kai wird mich verstehen, dachte ich, er wird in seine Seele gucken und da Licht finden und das mit mir teilen wollen, weil er mich als jemanden achtet, der es wert ist, geachtet zu werden. Und wir werden reden und Gemeinsamkeiten haben und es nicht auf ein Ende zulaufen lassen, ein Ende, an dessen Schmerz ich mich wohl nie ganz gewöhnen könnte. Aber ich werde ihm definitiv keinen blasen.
    ***
    Und manchmal, bevor mein Leben eskaliert und mir der ganze Matsch explosionsartig um die Ohren an die hinter mir liegende Wand klatscht, suche ich Normalität. Ich weiß, dass es anmaßend ist, weil man, wenn man eine Norm sucht, ja eigentlich so etwas wie ein Elternteil sucht, das einem den Weg durch einen unbekannten Dschungel zeigt, weil man selbst wieder zu hilflos ist, diesen Weg zu erkennen oder im Navigationssystem des Lebens die korrekten Koordinaten einzugeben. Der, der den Weg verloren hat, soll ihn auch gefälligst selbst wiederfinden. Das könnten die Lebensweisheit tragenden Worte meiner Mutter sein, aber es sind meine eigenen, meine gedachten kleinen Denkscherben, die hier überall verteilt liegen, und manchmal trete ich eben rein und so ein Ding, so ein Gedanke setzt sich fest und besetzt meinen Kopf und malt dann Transparente und hängt sie mir aus den Augen oder Ohren und auf diesen ist zu lesen: Der Gedanke ist autonom, aber der Kopf nicht.
    Teil meiner kleinen Normerfüllung war mein Arbeitsplatz, den ich täglich wie automatisiert ansteuerte. Robotergleich, wie ein programmiertes Rechenbeispiel, ging ich dort meiner Arbeit nach, obwohl ich es schöner gefunden hätte, wenn meine Arbeit mir nachginge, wenn ich den Tag nicht so fremdbestimmt erlebte. Ohne Empfindung, da war nur Leere; ich war ein leeres Gefäß, das seine Füllung, seinen Luft verdrängenden Inhalt suchte und so im Arbeitsalltag herumstolperte und irgendwelchen unbekannten Menschen Lesesachen verkaufte. Auch die Kunden waren leere Gefäße, leere Tassen und Eimer kamen als gesammelte Kundschaft in diesen Buchladen und forderten Füllung durch Worte. Mal wollten sie lernen, mal Gefühle produziert bekommen oder einfach nur

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