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Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen

Titel: Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Bernemann
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nicht, ich hasste ihn sogar, hasste den ganzen Bernd, seine Behinderung, seine mangelnde Anpassung an mein Hygieneempfinden, sein so plumpes Durchbrechen meiner Sensibilität, kurzzeitig war ich sogar voller Blut überschäumendem Hass auf jeden, der nicht imstande war, seinen Speichelfluss unter Kontrolle zu halten.
    Und dann strafte ich mich selbst, so dumm, so blöd, so einfältig und auch so überhaupt nicht weitsichtig zu sein. Die Tasche hatte ich weit geworfen, das beinhaltete wohl auch den Wunsch, die eigene Unfähigkeit weit von mir weg zu schleudern; sie ist untergegangen, die Tasche, aber meine Unfähigkeit, mit Situationen wie dieser umzugehen, war noch an der Oberfläche, war sichtbar, vor allem, was das Schlimmste war, für mich. Ich konnte mir genau beim Unfähigsein zugucken, konnte mein bitteres Herz verlangsamt schlagen hören, wie es zorneswütend in mir tobte und meinen noch kindlichen Körper in auf- und abfedernde Wutschwalle versetzte. So geht Jugend, dachte ich noch in meinem Zimmer liegend, wilden Metalkassettensound in mich reinlassend ...
    Ich spürte wieder den Ekel, den Ekel des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit. Damals wie jetzt tanzte er auf meiner Zunge; es fühlte sich an, als ob sich meine Zunge selbstständig verdicken würde, um mein Brechzentrum zu reizen. Als wollte mir meine Zunge einfach in den Hals fallen, mich zu ersticken oder mich zu entleeren.
    Ich stand auf, um einige Schritte zu gehen. Es waren schnelle, orientierungslose Schritte, die wohl auch ein Hamster ginge, wenn er von einer Pappschachtel in einen Käfig entlassen werden würde. Die Schritte unsicher. Es war wie eine Flucht vor mir selbst, das zu starke Beschäftigen mit meinem sozialen Unvermögen trat mir jetzt in den Arsch. Und ich stand hier, in dieser Mietwohnung, irgendwo wurde meine Mutter leise rieselnd zu Staub und die Erinnerungen an sie umso lebendiger. Und die Lebendigkeit der Erinnerungen, das war das Schlimmste daran: die Lebendigkeit der Erinnerungen an jemanden, der stirbt.
    ***
    Einige Tage später war ich erneut bei Kai zu Gast. Es war ein Freitag, die Arbeitswoche und das elende Schmiergelaber über Bestseller, die Bestsellerbesteller mit in ihre wohlverdienten Sommerurlaube nehmen würden, hing mir seitlich aus den Ohrmuscheln. Stränge aufgereihter Buchstaben hingen da an meinem Kopf, es fühlte sich ein bisschen an wie ein Schädelbasisbruch, war aber nur Burnout.
    Kai reichte mir ein Bier. Kalt war die Flasche, wie ich es hier gewohnt war. Von einer annähernd vertrauten Person eine kalte Flasche Bier gereicht zu bekommen, das hatte in meinem Leben schon Besonderheitswert. Es rührte mich, hier zu sein, mit Kai über gewisse Gedankenwellen zu surfen und irgendwo rauszukommen, wo von uns beiden zuvor noch keiner gewesen war. Kai hatte gute Laune. «Hab dir doch von dieser Oper erzählt, die ich mache, oder? So ein modernes Stück über die Welt und deren Kommunikationsfehler.» Ich nickte, er hatte mir davon erzählt, dass er sich mit diesem Stück, mit dem überarbeitbaren Konzept dieses Stückes bei diversen Kulturhäusern vorstellen wollte, weil er das Ding unbedingt zur Aufführung bringen wollte. Er komponierte sich die Finger spröde und klavierte sich auf irren Pfaden. Er hatte mir auch schon einige Stücke vorgespielt, von denen mir allerdings keins wirklich zusagte, alles hatte einen erschreckend verpoppten Musical-Anstrich, der mich einfach nicht berühren konnte. Das habe ich ihm gesagt, und ihm war meine Meinung wichtig und er hat daraufhin tatsächlich drei Stücke umgeschrieben, sie irgendwie wieder erkennbarer gemacht, ihnen den Fahrstuhlcharakter amputiert. «Also in der letzten Woche haben mich zwei Häuser angerufen, eins in Hamburg und eins in Leipzig, und beide haben verschärftes Interesse an einer Zusammenarbeit mit mir, soll heißen, die Kulturstrategen haben Bock, meinen Scheiß auf ihrer Bühne zu inszenieren, ist das nicht geil?» Ich nickte und trank einen Schluck Bier. «Leipzig und Hamburg», wiederholte ich mit schmeichelnder Stimme in einer Sprechlage, die sowohl Anerkennung als auch Eigendynamik meinerseits transportieren sollte, «das ist in der Tat geil.» Kai war aufgewühlt. «Also bei einem Haus wird das definitiv klappen, dann bin ich ein halbes Jahr weg und kann denen ihre Hütte bespielen.» Er würde also auch demnächst weg sein. Die zärtliche Fassade unserer Freundschaft bröckelte etwas, in mir blubberte etwas, meine Sensibilität zeigte sich

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