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Vogelweide: Roman (German Edition)

Vogelweide: Roman (German Edition)

Titel: Vogelweide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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verwirren, sagte er, Erstausgaben.
    Das fand sie eine ganz tolle Idee, zu den Schuhen Bücher, nur Erstausgaben. Also alles secondhand, aber first class.
    Endlich war er der Windsbraut entkommen und hatte sich zu Anna durchgekämpft, auf die eine Frau mit schwerer Bernsteinkette einredete. Die Rede war von veganer Ernährung, und Annas Blick sagte: Erlöse mich.
    Es ging ganz leicht, er sagte, komm, lass uns eine rauchen.

    Dieses Bild war ihm sehr nahe, sehr deutlich: Das Stehen und Reden, sie nahe, in der ihm schon vertrauten Haltung, den linken Arm wie schützend über die Brüste gelegt, die Hand unter die Achsel geschoben. In der rechten Hand die Zigarette. Sie standen mit anderen Rauchern draußen, als wollten sie mal eben Luft schöpfen, das war aus dem Genuss des Rauchens geworden.
    Ewald könnte bei jedem Salsa-Wettbewerb mitmachen.
    Ja, sagte Anna, sie hätten eine Zeitlang Salsa-Kurse besucht, seien später oft zu einem Kubaner in Kreuzberg zum Tanzen gegangen. Dann habe Ewald plötzlich keine Zeit und keine Lust mehr gehabt. Und so hätten sie seit gut zwei Jahren nicht mehr getanzt. Sie blickte durch die Scheibe in den Laden und die dahinterliegende Wohnung. Und jetzt tanzt er, sagte sie, wie vom wilden Schwan gebissen.
    Bei solchen Gelegenheiten lernt man seinen Nächsten und Liebsten neu kennen. Er beispielweise habe nicht gedacht, dass sich in dem Freundes- und Kundenkreis der bodenständigen, Gänse- und Schweinebraten liebenden Selma derart viele Esoteriker, Schamanen, Veganerinnen – sagt man das so? – und Vegetarier tummeln.
    Wahrscheinlich ihre Arbeit, diese Hopi-Kunst. Whorf. Das zieht die Leute an, all die Schrägen, die ihre Astralleiber suchen, ihre Sternbilder studieren, nach Selbstvervollkommnung streben, die in sich Ruhe suchen oder auch nur sich selbst finden wollen. Wir wissen, das ist eine Berserkerarbeit. Mit viel Verzicht verbunden. Ein wenig missionarisch sind sie, aber doch immer freundlich und das Gegenteil von denen, die auf den Partys von Ewald und wahrscheinlich auch bei dir herumstehen, diese coolen Jungs, die mehrere Coachings hinter sich haben: Entdecken Sie, was in Ihnen steckt, und starten Sie durch. All diese selbstgewiss performativ Auftretenden, die aber nie wie diese hier über ihre Schulungen und Gruppenerfahrungen sprechen würden. Das hörst du nämlich nie, dass einer sagt, mein Coach hat mir beigebracht, wie ich atme, wie ich ruhig werde, dem anderen nicht in die Augen sehen, sondern über ihn hinweg, Ungeduld bei dessen Reden zeigen, aber selbst ausdauernd und weit ausholend reden, reden und beim Widerspruch ruhig bleiben, Atemtechnik, immer ausatmen, tief und nochmals ganz tief, erst dann die Antwort. Diese hier, mit ihren erdmagnetisierten Karotten, sind mir lieber.
    Ewald und Selma kamen zu ihnen, Luft schnappen, wie Selma sagte, verschwitzt, das Haar klebte ihr an der Stirn.
    Ewald sagte, warum tanzt ihr nicht, rauchen ist ungesund, los, sagte er zu Eschenbach, tanz mit Anna, sie ist die echte Salsaqueen.
    Wartet hier, sagte Selma. Wenig später kam sie mit vier Gläsern Mojito, die sie aneinandergepresst trug, zurück, sagte, wir trinken auf die Freundschaft. Ich habe kräftig Rum reingeschüttet.
    Wie Selma Ewald ansah, Augen nur für ihn, kaum, dass sie Eschenbach noch anblickte, er bemerkte es, aber da Anna und er sich ungestört ansehen konnten, war es ihm recht.

    Später, viel später, es dämmerte, die letzten waren gegangen, Ewald und Anna waren schon lange fort, die Trümmer der Feier reichten bis in das kleine Schlafzimmer, fielen sie, ja, sie ließen sich fallen, ins Bett.
    Dieses Bild hatte er hier vor Augen, Selma plumpste mit ausgebreiteten Armen auf die breite Matratze, die sie wie in einer Studentenbude auf dem Boden liegen hatte, daneben der Spiegel in einem von ihr geschmiedeten, dünnen, volutenreichen eisernen Rahmen, eine Prüfungsaufgabe, musste auch mal was Grobes schmieden, sagte Selma, und dann: Ich bin völlig fertig.
    Und, hört er sich sagen, ich auch, fragt dann aber doch noch, warum sie ihm nichts von diesem Mann, von diesem Schamanen, erzählt habe. Von all den anderen hatte sie ihm in den lustvollen ersten Wochen, wenn sie bei ihm oder sie beide hier, auf dieser Matratze, zusammenlagen, ausführlich und mit der ihr eigenen genauen Beobachtungsgabe für Eigenarten berichtet.
    Ihre Erklärung war, wenn man mit einem Schamanen geschlafen habe, dürfe man das nicht erzählen. Der Zauber verfliege.
    Das ist wahr, sagte

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